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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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verzogen, und hinter ihren Brillengläsern sah man ihre Augen vor Wut glühen.
    Irma schrumpfte auf ihrem Stuhl zusammen, als sie die hoch gewachsene Gestalt sah, die mit großen Schritten auf sie zukam. Sie hob bereits schützend die Arme vor den Kopf, aber Frau Maenhout schien es gar nicht auf sie abgesehen zu haben. Sie lief um den Schreibtisch herum, bis sie direkt vor dem Doktor stand, der die Hände auf die Armlehnen seines Stuhls presste, als wolle er jeden Augenblick aufspringen, falls er angegriffen würde. Energisch hob Frau Maenhout die Hand, beugte sich vor und hielt dem Doktor ihren drohenden Zeigefinger direkt vor die Nase.
    »Wenn Sie es wagen«, rief sie, »Ihren Kindern in Zukunft auch nur ein Härchen zu krümmen, dann zeige ich Sie an! Merken Sie sich das, Herr Doktor!«
    Mit einem Ruck wirbelte sie herum. Irma Nussbaum hielt sich die Hände vor den Mund. Doktor Hoppe allerdings schien die Ruhe selbst, denn Charlotte Maenhout hatte noch keine drei Schritte getan, da war er bereits aufgestanden.
    »Frau Maenhout, wovon sprechen Sie? Ich verstehe nicht, was …«
    Sie blieb stehen und drehte sich wieder um.
    »Wie können Sie es wagen?«, rief sie. »Wie können Sie es wagen, so zu tun, als wäre nichts geschehen?«
    »Wirklich, Frau Maenhout, ich …«
    Irma blickte zwischen Frau Maenhout und Doktor Hoppe hin und her. Sie fragte sich gerade, ob sie nun weglaufen, die beiden auseinanderbringen oder sich unauffällig im Hintergrund halten sollte, als plötzlich die drei kleinen Söhne des Doktors in der Türöffnung erschienen, jeweils mit einem Handtuch um die Schultern.
    Kahl. Das fiel ihr auf Anhieb auf. Die Köpfe der Kinder waren vollständig kahl. Kein einziges rotes Haar war ihnen geblieben, wodurch ihre sowieso schon enormen Schädel noch größer aussahen. Ein stark verzweigtes Netz blauer Adern schimmerte durch die dünne Haut.
    »Wie drei riesige, durchsichtige Glühlampen«, erzählte sie später ihrem Mann, der vergeblich versuchte, noch mehr Details aus ihr herauszuholen. Noch bevor sie die Gesichter der drei richtig in Augenschein hatte nehmen können, waren sie von Charlotte Maenhout sanft, aber bestimmt in den Gang zurückgedrängt worden.
    »Los, ihr müsst noch in die Wanne«, sagte sie und verließ, ohne sich noch einmal umzusehen, ebenfalls das Sprechzimmer. Irma hörte sie noch sagen, dass schon alles gut würde, dann war es still. Ihr gegenüber beugte Doktor Hoppe sich vor und faltete die Hände.
    »Was kann ich nun für Sie tun, Frau Nussbaum?«
    Sein Gesicht verriet keinerlei Gefühlsregung. Es war, als wäre überhaupt nichts vorgefallen.
    »Nein, ich will nicht!«
    Mit Schwung hatte Michael die Tür des Badezimmers zugeschlagen und blieb nun mit verschränkten Armen auf dem Gang stehen. Von drinnen rief Frau Maenhout ihn zurück: »Michael, stell dich nicht so an und komm her!«
    Sie öffnete wieder die Tür und lief auf den Flur hinaus. Michael stand an der Treppe, um jeden Moment nach unten laufen zu können, falls sie ihm hinterherkäme.
    Es war schon immer ein Kampf gewesen, die Jungs in die Badewanne zu bekommen, aber so viel Widerstand wie jetzt hatten sie noch nie geleistet.
    »Alles selber«, sagte Raphael, der jetzt zusammen mit Gabriel in der Badezimmertür stand und seine Hände unter die Achseln geklemmt hatte. Auch er war heute nicht bereit, guten Willen zu zeigen. Gabriel nickte und fügte hinzu: »Ausziehen, Waschen, Abtrocknen. Können wir alles selber.«
    An der Treppe nickte Michael ebenfalls: »Alles selber.«
    »Na gut, na gut«, sagte Frau Maenhout, »der Klügere gibt nach. Aber nur dieses eine Mal. Und jetzt los, Michael, ab ins Bad.«
    Michael lief ins Badezimmer, gefolgt von seinen Brüdern. Frau Maenhout schüttelte den Kopf. Schon seit einiger Zeit waren die Jungs in einer Phase, in der sie alles erklärt haben wollten: warum dies, warum das, warum überhaupt. Und jede Antwort führte nur wieder zu weiteren Fragen. Außerdem wollten sie immer alles erst mal selber machen, obwohl sie es eigentlich noch gar nicht konnten. Wahrscheinlich musste sie strenger sein, aber das brachte sie nicht fertig. Sie hatte Mitleid. Das war der Grund.
    Sie ging ins Bad und sah, dass noch keiner der drei irgendwelche Anstalten gemacht hatte, sich auszuziehen.
    »Wird’s jetzt bald?«, fragte sie.
    »Erst Zähne putzen«, rief Raphael und rannte schnell zum Waschbecken, die anderen beiden im Schlepptau. Sie stellten sich auf eine kleine Bank, damit sie an den Hahn

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