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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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schrillen Schrei aus.
     
    Am Tag nach seiner Geburt wurde Victor Hoppe im Kloster der Klarissen von La Chapelle aufgenommen, ein paar Kilometer von Wolfheim entfernt. Er war vom Teufel gebissen worden. Das dachte zumindest seine tiefgläubige Mutter. Sie hatte schließlich jeden Kontakt mit toten wie auch mit lebenden Hasen gemieden, nicht nur zu Beginn der Schwangerschaft, sondern während der gesamten neun Monate, und doch war das Gesicht des Kindes entstellt. Es waren also wohl andere Kräfte mit im Spiel gewesen. Wie sonst sollte es vor sich gegangen sein?
    Kaplan Kaisergruber, der gekommen war, um das Kind zu taufen, hatte ihre Vermutung bestätigt.
    »Mon Dieu!«, hatte der Kaplan beim ersten Anblick ausgerufen, und in einem Reflex hatte er sich bekreuzigt. Das war Johanna nicht entgangen.
    »Der Teufel hatte seine Finger im Spiel, nicht wahr?«, hatte sie ihn gefragt. Sie hatte geradezu gehofft, dass er zustimmen würde, damit sie sich selbst nichts vorzuwerfen hätte, und sie hatte bekommen, was sie begehrte. Es war lediglich ein kaum merkliches Nicken gewesen, aber das hatte ihr genügt. In den paar Sekunden zwischen ihrer Frage und seiner Antwort hatte der Kaplan zum Doktor hinübergesehen, der in einer Ecke des schwach beleuchteten Zimmers gestanden und sich eine Hand vor seinen missgebildeten Mund gehalten hatte.
    Es ist seine Schuld. Er hat das Böse weitergegeben. Er hätte keine Kinder in die Welt setzen dürfen. Das hatte Kaplan Kaisergruber gedacht, aber nicht gesagt. Er hatte zu viel Respekt vor dem Doktor. Darum hatte er stillschweigend genickt. Der Mutter im Wochenbett war ein Seufzer entfahren.
    Das Klarissen-Kloster in La Chapelle war immer schon eine Anstalt für geistig und körperlich behinderte Kinder gewesen, aber während des Krieges hatte Schwester Milgitha, die Äbtissin, beschlossen, ihre Pforte nur noch betuchten Bürgern aus Belgien und Frankreich zu öffnen, die aus ihren Häusern geflüchtet waren. Mit dem Ende des Krieges war der Orden dann gezwungen, die Anstalt wieder zu öffnen. Victor Hoppe wurde der erste Patient, und weil seine körperliche Missbildung keine richtige Behinderung war, wurde in den Untersuchungsbericht hineingeschrieben, man habe bei ihm Anzeichen von Schwachsinn festgestellt. Nähere Einzelheiten wurden nicht erwähnt. Beide Elternteile setzten ihre Unterschrift unter das Dokument.
    Den hohen monatlichen Betrag für Pflege und Erziehung des kleinen Victor berechnete Schwester Milgitha im Hinblick auf das vermutliche Einkommen des Doktors, und sie erhöhte ihn noch einmal, nachdem sie das Baby zu Gesicht bekommen hatte. Den Eltern erzählte sie, der Aufpreis müsse die Extrakosten decken, etwa für einen Spezialschnuller und für Desinfektionsmittel. Den anderen Schwestern sagte sie unumwunden, sie habe noch etwas auf den Preis draufgeschlagen, weil sie davon überzeugt gewesen sei, Doktor Hoppe und seine Frau würden jeden Preis bezahlen, um von dem Kind erlöst zu werden. Das hatte sie auch den Worten Kaplan Kaisergrubers entnommen.
    Er war es nämlich gewesen, der den Eltern vorgeschlagen hatte, das Kind vorläufig in die Obhut der Klarissen zu geben. Erst wenige Tage zuvor hatte Schwester Milgitha ihn zu sich gerufen, um ihm mitzuteilen, dass sie die Anstalt wieder öffnen würde. Sie hatte ihn gefragt, ob er neue Bedürftige – so drückte sie sich aus – für sie aufspüren könne. Selbstverständlich würde er dafür belohnt. Er wolle doch sicher gern möglichst bald Pastor werden.
    Der Kaplan hatte nie damit gerechnet, so schnell einen ersten Bedürftigen zu finden.
    »Das Böse muss bekämpft werden«, hatte er zum Doktor und seiner Frau gesagt, nachdem er das Kind getauft hatte. Dabei hatte er den Kleinen heimlich in den Hintern gekniffen, sodass dieser wie ein Besessener zu heulen angefangen hatte, während ihm das Weihwasser über den Kopf lief. Die Mutter hatte sich die Hände vor die Augen gehalten, der Vater das Gesicht abgewendet. Der Kaplan hatte dieselbe Handlung noch zweimal wiederholt.
    Kneifen. Taufen.
    Kneifen. Taufen.
    Er hatte all sein Weihwasser aufgebraucht. Das Geheul des kleinen Victor war durch Mark und Bein gegangen.
    »Das Böse kann nur mit Gottes Hilfe bekämpft werden«, sagte er mit Nachdruck. Er legte das heulende Kind in die Wiege zurück, ohne ihm den Kopf abzutrocknen. Die dünnen, roten Haare klebten an der kleinen Stirn. Das Wickeltuch war völlig durchnässt.
    Er sah der Mutter in die Augen und sagte, scheinbar

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