Der Engelmacher
zufaxen?«
»Erst morgen.«
»Das wird knapp. Ich müsste den Text allerspätestens um zwölf Uhr mittags vorliegen haben. Wäre das möglich?«
Es gab zur Not noch einen weiteren Tag Spielraum, aber das verschwieg er. Je mehr Zeit er einräumte, umso größer war die Gefahr, dass andere Zeitschriften Wind davon bekamen und ihm den Knüller vor der Nase wegschnappten.
»Neun Uhr. Das müsste klappen.«
»Einverstanden. Wie viele Mäuse haben Sie denn geklont, wenn ich fragen darf?«
»Drei. Drei Stück.«
»Fantastisch. Ich bin sehr neugierig auf Ihren Bericht.«
»Noch ein paar Kleinigkeiten, und er ist fertig. Sie können sich darauf verlassen.«
Als Victor Hoppe in Aachen den Hörer auf die Gabel legte, hatte er von dem Artikel, den er am nächsten Tag abgeben musste, noch nicht viel zu Papier gebracht. Die Struktur hatte er zwar im Kopf, und er hatte sich bei jedem einzelnen Schritt seines Vorgehens die wichtigen Daten notiert und Fotos gemacht, aber das war bislang alles. Er wusste, dass er das Hauptgewicht auf die Darstellung seines Verfahrens legen musste. Schließlich verwendeten die meisten seiner Kollegen ein Virus, um die Zellen miteinander verschmelzen zu lassen, wodurch sie den wichtigsten Teil des Klonens aus der Hand gaben. Er selbst bediente sich eines Verfahrens, das in den 70er Jahren von dem englischen Professor Derek Bromhall entwickelt worden war und das er verfeinert hatte: Mit Hilfe einer mikroskopischen Pipette brachte er einen fremden Kern in die Zelle ein, und im Zuge desselben Vorgangs, also ohne die Pipette zwischendurch zu entfernen, saugte er den ursprünglichen Kern heraus. Auf diese Weise brauchte er die Zellwand nur an einer einzigen Stelle zu beschädigen, wodurch sie schneller wieder abheilte. Der gerade erst entdeckte Stoff Cytochalasin B, mit dem er die Zelle dann behandelte, sorgte dafür, dass diese weich blieb, was die Verschmelzung mit dem neuen Kern begünstigte.
In der Theorie war das alles ganz einfach, aber in der Praxis verlangte diese Methode vor allem viel Übung und ein Tausendfaches des Geschicks, das man braucht, um einen Faden durch ein Nadelöhr zu ziehen. Viele Versuche waren gescheitert, weil die Zellwand zu stark beschädigt worden war oder weil er zusammen mit dem Kern zu viel Cytoplasma aus der Zelle herausgesogen hatte. Auch die Verschmelzung des Kerns mit der neuen Zelle verlief selten problemlos, und die weitere Entwicklung der rekonstruierten Zelle zu einem Embryo ließ sich überhaupt nicht steuern. Die Zahlen, die Doktor Hoppe festgehalten hatte, machten daraus keinen Hehl. Von den 542 Zellen weißer Mäuse, die er ausgewählt hatte, überlebte nicht einmal die Hälfte den mikrochirurgischen Eingriff, bei dem der Kern gegen einen von einer braunen Maus stammenden Zellkern ausgetauscht wurde. Von den übrig gebliebenen verschmolzen lediglich achtundvierzig Zellen mit dem neuen Kern. Diese wurden vier Tage lang gezüchtet, bis sechzehn davon zu einem winzig kleinen Embryo herangewachsen und somit geeignet waren, in die Gebärmutter einer weißen Muttermaus eingepflanzt zu werden. Der geringen Anzahl zum Trotz – lediglich drei Prozent der Zellen hatte das vorletzte Stadium erreicht – hatte Victor Hoppe damit doch zumindest schon einen Erfolg gehabt, den seine Kollegen nicht verbuchen konnten. Trotz aller Bemühungen waren diese bisher alle in der Zuchtphase gescheitert.
Danach hatte er drei Wochen warten müssen, bis die Embryos ausgewachsen waren und geboren werden konnten. In der Zwischenzeit hatte er eine neue Reihe von Zellen bearbeitet. Zu seiner Verzweiflung überlebte diesmal nicht eine einzige Zelle die Zuchtphase, sodass er all seine Hoffnungen auf die bereits eingepflanzten Zellen setzte. Die jungen Mäuse würden nackt zur Welt kommen, und drei Tage später, wenn die ersten Haare zum Vorschein kämen, wüsste der Doktor, ob sein Klonexperiment gelungen war. Die sechzehn rekonstruierten Zellen müssten zu geklonten braunen Mäusen herangewachsen sein; aus den fünfzehn normal befruchteten Eizellen, die er zusammen mit den anderen in verschiedene Gebärmütter eingepflanzt hatte, müssten sich normale Mäuse mit demselben weißen Fell entwickelt haben, das auch die Muttermäuse hatten.
Am 13. Dezember 1980 kamen die Mäuse in einem Labor der Universität Aachen zur Welt. Um jedes Risiko auszuschließen, wurden sie mit einem Kaiserschnitt aus dem Bauch der Tiere geholt. Verglichen mit dem mikrochirurgischen Austausch der
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