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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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sagten. Daherschwatzten: das Wort hatte Schwester Milgitha benutzt und damit von vornherein alles als Unsinn qualifiziert, was die Patienten von sich gaben. So wie etwa Marc François. Der Imbezile hatte sie vor ein paar Tagen zu sich gewunken und ihr eingeflüstert, Egon sei ermordet worden. Mit dem Zeigefinger hatte er in einer schnellen Bewegung einen horizontalen Schnitt an seiner Kehle angedeutet. Sie hatte ihn gefragt, wer es denn getan habe, und heimlich, sodass dieser es nicht sah, hatte er auf Angelo Venturini gezeigt. Als sie diese Neuigkeit der Äbtissin erzählt hatte, hatte die sie zu der Leiche Egons mitgenommen und sie auf die unversehrte Kehle des Verstorbenen aufmerksam gemacht.
    »Siehst du, Schwester Marthe«, hatte sie gesagt, »es ist alles Unsinn, was die Patienten daherschwatzen. Darum ist es gefährlich, solche Dinge weiterzuerzählen.«
    Schwester Marthe hatte verstanden.
     
    Mit Egons Tod war dessen nächtliches Geheul dem singenden Tonfall der Stimme Victors gewichen. Sobald das Licht im Saal gedämpft wurde, leierte der Junge bis zum Anbruch des nächsten Tages eine endlose Reihe von Litaneien herunter. Es lag keinerlei Betonung oder Gefühl in seiner Stimme. Was er von sich gab, war lediglich ein unablässiges Gemurmel, und darum störten die anderen Patienten sich auch nicht daran. Im Gegenteil, sie ließen sich von dem monotonen Singsang beruhigen und einschläfern.
    Tagsüber schlief Victor, oder vielleicht tat er auch nur so. Jedenfalls schien es dann, als habe er eine Mauer um sich herum errichtet. Weder die Stimmen der Schwestern noch der Lärm der Patienten schien zu ihm durchzudringen. Die Schwestern hatten es schon bald aufgegeben, Kontakt zu ihm herzustellen, die Patienten hingegen ließen nicht locker, mitunter auch nur, weil sie frühere Versuche schon wieder vergessen hatten. Jean Surmont hockte sich auf die Gitterstäbe am Fußende von Victors Bett und imitierte einen krähenden Hahn, Nico Baumgarten stellte sich neben das Bett und ahmte das Geräusch einer Trompete nach, und Marc François schlich sich ganz nahe an Victor heran und feuerte dann mit einem imaginären Maschinengewehr eine Kugelsalve auf ihn ab.
    Seit Egons Tod aß Victor auch nicht mehr. Er trank lediglich noch. Sein Teller wurde auf den kleinen Tisch neben seinem Bett gestellt, und wenn er ihn, nachdem die anderen Patienten schon fertig waren, noch nicht angerührt hatte, wurde er wieder weggenommen. Schwester Milgitha sagte, er werde schon essen, wenn er Hunger bekomme, aber als der Junge nach drei Tagen Fasten noch immer nichts zu sich genommen hatte, fing auch sie an, sich Sorgen zu machen.
    »Er trauert um Egon«, sagte Schwester Marie-Gabriëlle.
    »Dazu ist er noch zu klein«, entgegnete Schwester Milgitha. »Das sind irgendwelche Launen. Die werden wir ihm schon abgewöhnen.«
    Mit tatkräftiger Unterstützung dreier weiterer Schwestern stopfte sie an jenem Mittag Victor den Mund voll und hielt ihm die Nase zu, bis er das Essen hinuntergeschluckt hatte. Auf diese Weise fütterte sie ihn, bis der Teller leer war.
    Keine Minute nach dem letzten Happen spuckte Victor die Kutte von Schwester Milgitha von oben bis unten voll.
    Auf der anderen Seite des Saals brach Marc François in schallendes Gelächter aus, und um ihre Würde und Autorität zu wahren, versetzte die Äbtissin Victor eine so heftige Ohrfeige, dass alle anderen kurz schluckten.
    Victor verzog keine Miene. Obwohl alle Anwesenden sahen, wie seine Wange rot anlief, blieb der Junge gänzlich ungerührt.
    »Es steckt wahrlich das Böse in ihm«, sagte die Äbtissin nun mit Bestimmtheit und beschloss, dass von nun an unablässig eine Schwester an seinem Bett sitzen und ihm aus der Bibel vorlesen solle. Tag und Nacht. Auf diese Weise hoffte sie, den Teufel in Victor am Schlaf zu hindern, bis der schließlich auf der Suche nach Ruhe den Körper des Jungen verlassen würde.
    Victors Bett wurde in einen gesonderten Raum gebracht, und tagsüber lösten die Schwestern sich alle zwei, nachts alle vier Stunden ab.
    Schwester Marthe bekam einen Teil der Nacht zugeteilt, was sie nicht einmal so schlimm fand, denn so durfte sie das frühe Stundengebet des nächsten Tages ausfallen lassen und ausschlafen.
    In der ersten Nacht betrachtete sie Victor eingehend, während er mit geschlossenen Augen auf dem Rücken im Bett lag. Sie starrte auf die Narbe über seinem Mund, die die Symmetrie des Gesichts so auffällig störte, und auf seine platte Nase, die durch

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