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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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noch üben. An anderen Säugetieren. An Zellen von Mäusen oder Kaninchen. Aber das hatte er nicht gesagt. Vielleicht hätten sie es sich anders überlegt, wenn er sie gebeten hätte, in einem halben Jahr wiederzukommen.
    Am nächsten Tag waren sie zu dem Termin gekommen, und er hatte sie behandelt. Aber mit unbefruchteten Eizellen. Ohne dass sie es wussten. So hatte er zumindest einen Monat Zeit gewonnen.
    Die Frauen waren beide eine Woche über die Zeit gewesen. In diesen sieben Tagen hatten sie eindeutig das Gefühl gehabt, schwanger zu sein. Das hatten sie ihm aufgeregt erzählt. Dann müsse die Frucht unbemerkt ihre Körper verlassen haben.
    Ob es tatsächlich so gewesen sei, hatten sie ihn sicherheitshalber gefragt. Er hatte sie in dem Glauben gelassen, obwohl er wusste, dass da nie eine Frucht gewesen war. Damit hatte er ihnen noch mehr Hoffnung gemacht. Ein weiteres Mal hatte er unbefruchtete Eizellen bei beiden Frauen eingebracht, denn zu dem Zeitpunkt war er noch vollauf mit seinen Experimenten beschäftigt.
    Der Stand der Dinge war dieser: Er hatte Mäuseembryos gezüchtet, die von zwei weiblichen Eizellen abstammten, aber keiner der Embryos war zu einer lebenden Maus herangewachsen. Mit menschlichen Zellen war er über die Verschmelzung der Kerne nicht hinausgekommen, was aber auch schon etwas heißen wollte.
    Danach hatte er sich wieder mehrere Tage am Stück in sein Labor zurückgezogen. Er hatte an verschiedenen Versuchen gleichzeitig gearbeitet und das eine Experiment angefangen, bevor das andere beendet war. Nur ab und zu hatte er sich Notizen gemacht. Zu wenige eigentlich, sogar im Hinblick darauf, dass sie zunächst nur als Gedächtnisstütze für ihn selbst bestimmt waren. Das kommt später, hatte er immer gedacht, während er geistig bereits mit dem nächsten oder übernächsten Schritt beschäftigt war. Seine Gedanken waren wie Dominosteine in einer Reihe: Auf den ersten Anstoß folgten die anderen von selbst.
    Am 15. Januar 1979 saßen ihm die Frauen erneut gegenüber. Er hatte ihr Kommen hinauszögern wollen. Nur einen einzigen Monat hätte er noch benötigt. Aber sie hatten ihn bedrängt, und weil sie sonst möglicherweise woanders hingegangen wären, hatte er nachgegeben.
    »Wird es diesmal gutgehen, Herr Doktor?«
    »Das wird sich zeigen.« Er hatte die Frage erwartet und die Antwort bereits vorbereitet.
    »Und wenn es nicht gutgeht …«
    Auf diese Frage hatte er gehofft.
    »Dann würde ich es gerne noch einmal probieren. Mit Ihrem Einverständnis natürlich.«
    Die Frauen sahen einander an. Eine der beiden sagte: »Sie denken also, es wird wieder nicht gutgehen.«
    Ihre Bemerkung war ein Vorwurf, aber er ging darüber hinweg und wiederholte: »Das wird sich zeigen.«
    »Wir haben darüber gesprochen«, fuhr die Frau nach einer kurzen Pause fort, »und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir vielleicht besser damit aufhören. Wir sind …«
    »Sie brauchen mich nicht zu bezahlen«, sagte er schnell.
    »Es geht nicht um Geld. Wir glauben nicht mehr daran.«
    Es klang, als wollte sie in einer Liebesbeziehung Schluss machen. Ihre Freundin pflichtete ihr bei.
    »Man hat uns gesagt, es sei unmöglich … das, was wir wollen.«
    »Wer ist ›man‹?«, rief er aus, lauter als beabsichtigt. Die beiden Frauen erschraken. Kurzzeitig fürchtete er, sie für immer verloren zu haben, aber schon bald wurde ihm klar, dass sie gar nicht erst wiedergekommen wären, wenn sie die Hoffnung schon aufgegeben hätten. Er musste sie lediglich neu überzeugen. Darum brachte er sie in sein Labor.
    »Manchmal ist das, was unmöglich erscheint, lediglich schwierig«, sagte er.
    Die drei Mäuse, die er ihnen zeigte, waren fünf Tage alt. So groß wie der kleine Finger eines Kindes. Ihre Haut war mit einem dünnen Flaum überzogen, der bei zwei Tieren braun und bei der dritten Maus weiß war. Sie lagen in einem kleinen Kasten mit Papierschnipseln und saugten an den Zitzen einer schwarzen Maus.
    »Das ist nicht die Mutter. Sie hat die Jungen lediglich ausgetragen.« Aus einem anderen Kasten nahm er eine ausgewachsene weiße und eine ebenso große braune Maus heraus. »Dies hier sind die Mütter. Die Jungen sind Kreuzungen aus den beiden. Daran war kein Männchen beteiligt.«
    Die Frauen standen sprachlos vor ihm.
     
    Diesmal hatte er sie nicht betrogen. Er hatte gesagt, er müsse noch ein paar letzte Versuche mit männlichen Eizellen vornehmen. Er sei sich sicher, dass es danach sehr wohl gutgehen werde. Er hatte ihnen

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