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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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hatte weiter das Gefühl, ein fremdes Etwas in ihrem Bauch zu tragen.
    Als der kalte Sensor des Ultraschallgeräts auf ihren Bauch drückte, kniff sie in die Hand ihrer Freundin. Der Doktor hatte zwar gesagt, auf dem Ultraschall würde noch nicht viel zu sehen sein, aber irgendwie hoffte sie doch darauf, sich etwas mehr Sicherheit verschaffen zu können.
    Schweigend ließ der Doktor den Sensor über ihren Bauch gleiten. Auf dem Monitor waren weiße, graue und schwarze Flecken mit wenig Struktur zu sehen. Es sah aus, als ließe jemand den schwachen Schein einer Taschenlampe über die rauen Wände einer Grotte wandern.
    Sie sah von dem Monitor zu ihrem nackten Bauch. Der war noch nicht dick geworden. Auch war ihr bisher noch kein einziges Mal unwohl gewesen. Vielleicht war sie doch nicht schwanger.
    »Da ist es«, sagte der Doktor.
    Sie erschrak und sah schnell zum Monitor auf.
    »Ich sehe nichts«, sagte sie.
    »Das da«, sagte er und zeigte mit der Fingerspitze auf die Mitte des Monitors. »Dieser krumme weiße Strich. Das ist die Wirbelsäule.«
    Der Strich war noch kleiner als sein Finger. Es war das einzige, was sich nicht bewegte auf dem Monitor, wie ein Tier, das vor Angst erstarrt im Visier eines Jagdgewehrs stehen bleibt.
    »Siebenkommaacht Millimeter«, sagte er. »Es ist siebenkommaacht Millimeter groß. Jetzt können wir versuchen, den Herzschlag zu finden.«
    Er hielt den Sensor weiter an dieselbe Stelle und tippte mit der anderen Hand auf der Tastatur des Ultraschallgeräts.
    »Da!«
    Sie wusste nicht, wohin sie schauen oder was sie entdecken sollte.
    »Wo?«, fragte auch ihre Freundin, im Flüsterton, als hätte sie Angst, mit dem Geräusch ihrer Stimme etwas aufzustören oder zu verjagen.
    Mit der Spitze seines Stiftes zeigte der Doktor auf den Monitor. Es war wie ein kleines Licht, das schnell an- und ausging. Ein schwarz-weißes Blinklicht.
    »Als würde sie uns zuzwinkern«, hörte sie ihre Freundin sagen.
    Plötzlich wurde sie ganz ruhig. Die Gewissheit, dass tatsächlich etwas in ihr lebte, veränderte umgehend ihre ganze Haltung. Die Fragen, die sie sich gerade noch gestellt hatte, waren plötzlich bedeutungslos geworden. Es wuchs ein Kind in ihrem Bauch. Das war immer ihr größter Traum gewesen. Und vielleicht war es sogar ihr gemeinsames. Das wäre wundervoll, aber plötzlich schien das nicht mehr so wichtig. Es war Leben in ihrem Schoß. Das allein schon!
    Das leise Schluchzen ihrer Freundin riss sie aus ihren Gedanken. Als sie die Tränen in den Augen der anderen und das glückselige Lächeln auf ihrem Gesicht sah, wurde ihr der eigene Egoismus bewusst. Sie erschrak über sich selbst, aber ließ es ihre Freundin nicht merken, sondern nahm bloß deren Hände in die ihren und hielt sie fest.
    Der Doktor mied jeden Blickkontakt, als habe er Angst davor, mit ihren Gefühlen konfrontiert zu werden, und drehte an den Knöpfen neben dem Monitor. Das leise Rauschen, das die ganze Zeit im Hintergrund zu hören gewesen war, nahm jetzt plötzlich zu. Gleichzeitig kam nun noch ein anderes Geräusch aus dem Lautsprecher. Es war ein dumpfes und unregelmäßiges Pochen, wie wenn jemand mit dem Zeigefinger ein Mikrofon antippte, um es zu testen.
    »Das Herz«, sagte der Doktor. »Jetzt kann man es auch hören.«
    Das Geräusch lief tatsächlich mehr oder weniger synchron mit dem Blinken auf dem Monitor, obwohl es zwischendurch immer wieder verstummte und dann zurückkam.
    Aber da war noch etwas. Unregelmäßig war zwischendurch ein zweites Pochen zu hören. Zuerst hielt sie es für ein Echo des ersten, aber das konnte nicht sein, denn es hatte einen anderen Rhythmus.
    Sie sah ihre Freundin an und tippte sich kurz ans Ohrläppchen, um sie auf dieses andere Geräusch aufmerksam zu machen. Die andere nickte. Sie hatte es ebenfalls gehört.
    »Wir hören da noch ein Herz«, sagte sie zu dem Doktor.
    »Kann das sein?«
    Er reagierte nicht. Er spähte in den Monitor hinein, während er den Sensor stärker auf ihren Bauch drückte. Seine roten, buschigen Augenbrauen waren so stark gerunzelt, dass sie aussahen wie eine Klammer über den Augen.
    Jetzt war das doppelte Klopfen noch besser zu hören, aber auf dem Schirm war das Blinklicht verschwunden. Hektisch bewegte der Doktor den Sensor durch das Gel auf ihrem Bauch. Auch sein Kopf zitterte nervös.
    Schnell sah sie wieder zu ihrer Freundin. Die wiederholte, diesmal etwas eindringlicher: »Herr Doktor, wir hören da noch ein Herz!«
    Er schwieg weiter. Der Druck

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