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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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Milgitha gesagt hatte, man müsse möglicherweise die Polizei verständigen, hatte der Vater bekannt, mit seiner Tochter Streit gehabt zu haben, weil diese aus dem Kloster habe austreten wollen.
    Diese Mitteilung erstaunte nun umgekehrt Schwester Milgitha. Sie erzählte den Eltern, sie habe nichts davon bemerkt, dass Schwester Marthe derartige Pläne hege. Im Gegenteil habe sie einen überaus zufriedenen Eindruck gemacht, seit sie vor beinahe einem Jahr Novizin geworden sei. Auch habe sie sich des klösterlichen Lebens durchaus würdig erwiesen und hätte unter diesen Umständen schon sehr bald die zeitlichen Gelübde ablegen dürfen. Die Äbtissin ging insofern davon aus, dass sie bald zurückkommen würde, und schlug vor, vorläufig niemanden über ihr Verschwinden zu informieren. Dazu neigten auch die Eltern, denn es hätte sonst doch nur Gerede gegeben.
    Schwester Marthe kam zurück. Aber erst drei Monate später. Ein einziges Mal hatte sie ein Lebenszeichen von sich gegeben. Eine Woche nach ihrem Verschwinden hatten ihre Eltern einen Brief erhalten. Dass es ihr gut gehe. Und dass sie Zeit brauche, um sich zu besinnen.
    »Sie ist zurück und bereut«, stand in dem Telegramm, das Schwester Milgitha am 12. November 1949 den Eltern von Lotte Guelen schickte.
     
    Auf den ersten Blick sah es aus, als wäre sie nur kurz zum Einkaufen weg gewesen. Ihre Kutte war makellos, und ihre schwarze Haube saß ihr wie angegossen auf dem Kopf. Auch das goldene Kreuz auf ihrer Brust hatte nichts von seinem Glanz verloren.
    Bei Lichte besehen fiel auf, dass sie etwas Farbe im Gesicht bekommen hatte. Und auf die Handrücken.
    Mit einem flüchtigen Blick hatte Schwester Milgitha festgestellt, dass auch ihre Arme und ihr Hals leicht gebräunt waren, aber sie hatte nichts dazu gesagt. Sie hatte lediglich gefragt, ob ihr Verhalten sie reue, und das hatte Schwester Marthe auf Anhieb bejaht. Daraufhin hatte die Äbtissin sie unter Verweis auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn willkommen geheißen.
    Dabei hatte sie es belassen. Zunächst war ihr das am besten erschienen. Sie würde die Abtrünnige zu einem späteren Zeitpunkt schon noch aushorchen.
    Victor sah auf Anhieb, dass sich etwas an ihrer Haltung verändert hatte. Mit hochgezogenen Schultern und einem leicht zum Hohlkreuz durchgedrückten Rücken lief sie durch die Gänge des Klosters, wodurch ihr sonst immer flacher Bauch eine leichte Wölbung bekam. Ein gewisser Stolz lag in dieser Haltung. Das war ein deutlicher Unterschied zu der Zeit vor ihrem Verschwinden. Da war sie noch quasi ständig mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern gegangen, und ihre Schritte waren so träge gewesen, als hinge jemand an ihrer Kutte, den sie überall mit hinschleifen müsse. Sie hatte auch kaum noch mit ihm gesprochen, seit Schwester Milgitha ihn vergeblich gebeten hatte, etwas vorzulesen. Er hatte gedacht, sie wäre böse auf ihn. Weder nachts noch bei den Vorlese-Sitzungen hatte er sie je wiedergesehen. Und plötzlich war sie ganz verschwunden gewesen.
     
    Aber nun war sie wieder da. Und gleich am ersten Tag flüsterte sie ihm zu: »Ich hab dich vermisst.«
    Ich dich auch, wollte er sagen, bekam die Worte aber nicht über die Lippen.
    Kurz darauf, als sie erneut die Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen, sagte sie: »Bald bin ich wieder weg. Für immer.«
    Was er darauf antworten sollte, wusste er nicht. Bei ihrer Mitteilung befiel ihn plötzlich eine Beklommenheit, die er noch nie zuvor empfunden hatte.
     
    Der fade Geruch kam immer irgendwann von selbst, aber verschwand auch immer wieder. Schon sehr früh hatte Victor das durchschaut. Und wenn dieser Geruch in der Luft hing, ging er von allen Schwestern gleichzeitig aus. Immer wenn eine von ihnen sich über ihn beugte, war er überdeutlich wahrzunehmen. Er hing in ihren Kleidern. An ihren Händen. In ihrem Atem. Es roch so, wie das kalte Speckfett schmeckte, das er manchmal auf seinem Butterbrot hatte.
    Die Schwestern selbst schienen es auch zu riechen, denn solange sie diesen Geruch an sich hatten, vertrugen sie die Patienten noch schlechter als sonst. Als griffe der Geruch ihren Geist an und lasse sie die Kontrolle über sich selbst verlieren. Sogar Schwester Marthe. Jedes Mal, wenn sie so gerochen hatte, war sie beim Lesen ungeduldiger gewesen als sonst. Reizbarer. Wenn sie sich selbst dabei ertappte, entschuldigte sie sich.
    »Es tut mir Leid, Victor«, sagte sie dann, »es geht von selber wieder weg.«
    Und es kam auch wieder von

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