Der Engelmacher
des Sensors auf ihren Bauch nahm zu.
»Herr Doktor!«, rief sie nun selbst.
Er schrak auf.
»Ist da noch ein Herz?«, fragte sie. »Wir haben ganz deutlich noch irgendetwas gehört.«
Der Doktor schüttelte den Kopf.
»Ihr eigenes Herz. Das war Ihr eigenes Herz.«
Er hatte es in neutralem Tonfall gesagt, aber nichtsdestotrotz kam sie sich plötzlich unglaublich lächerlich vor. Sie hatte sich umsonst so angestellt.
Der Doktor nahm den Sensor weg und fing an, ihren Bauch mit einem Tuch abzuwischen.
»Es tut mir Leid«, stammelte sie. »Ich dachte …«
»Schon gut«, sagte der Doktor.
Es war ihr eigenes Herz gewesen. Unter anderem ihr eigenes Herz. Das war nicht gelogen. Aber da war noch etwas. Hätte er es sagen müssen? Dass da irgendetwas Sonderbares war? Und sie damit beunruhigen? Mit allen Folgen, die das nach sich ziehen konnte?
Es waren zwei fötale Herzschläge zu hören gewesen. Ganz deutlich. Aber den zweiten Herzschlag hatte er nicht ins Bild bekommen. Auch hatte er keinen zweiten Fötus gefunden. Hinterher hatte er die Ausdrucke ganz genau angesehen und auf keinem eine weitere Wirbelsäule entdecken können.
Möglich war, dass der zweite Fötus vollständig hinter dem anderen lag. Das war möglich. Aber es wäre außergewöhnlich.
Wenn es nun tatsächlich zwei Föten gab, dann hätte die Eizelle sich jedenfalls in der Gebärmutter noch einmal geteilt, und die zwei Zellen wüchsen nun getrennt voneinander. Dann würde ein Zwilling zur Welt kommen. Ein eineiiger Zwilling.
Bei der ersten Untersuchung hatte die Frau wissen wollen, ob man sehen könne, dass das Kind tatsächlich von ihnen beiden abstamme. Als ob er da schon hätte sagen können, wie es bei der Geburt aussehen würde. Lediglich im Falle einer erblichen Anomalie bei einer der Frauen hätte er eventuell nachweisen können, dass das Kind zumindest von dieser abstammte. Aber sie hatten beide keine erblichen Anomalien.
Leider, hatte er in einer plötzlichen Anwandlung gedacht, denn dann hätte er zumindest allen Zweiflern einen Beweis vorhalten können.
Er hatte sich vorgenommen, es den beiden Frauen zu sagen, wenn bei der zweiten Ultraschalluntersuchung zwei Föten zu sehen wären. Nach acht Wochen wären diese schließlich deutlich sichtbar, auch wenn sie vermutlich noch kaum größer als zwei Zentimeter wären. Den winzigen Maßen zum Trotz würden sie wohl auch bereits menschliche Züge aufweisen. Köpfe, Arme und Beine wären erkennbar, und das Gesicht wiese bereits Augen. Mund und Nase auf. Dass der eine Fötus noch komplett hinter dem anderen läge, war unwahrscheinlich. Er würde die Frauen also nicht noch einmal in die Irre führen können.
Die zweite Ultraschalluntersuchung, zwei Wochen später, hatte ihm Aufschluss verschafft. Die schwangere Frau hatte einen sehr ruhigen Eindruck gemacht, zumindest ruhiger als beim ersten Mal. Diesmal hatte er sich sozusagen an die Gebärmutter herangeschlichen. Statt sofort an der richtigen Stelle hineinzuzoomen, hatte er einen Umweg über die Leber, den Magen, die Bauchspeicheldrüse, die Blase und den Blinddarm gemacht. Ein Umzingelungsmanöver.
Mit angehaltenem Atem hatten die Frauen auf den Monitor gestarrt. Ab und zu hatten sie einen fragenden Blick auf ihn gerichtet. Aber er hatte geschwiegen.
Den ersten Fruchtsack in der Gebärmutter hatte er schnell gefunden. Ein schwarzer Fleck von der Größe eines Apfels. Einen zweiten gab es nicht, obwohl er damit eigentlich gerechnet hatte.
Der Fötus lag wie ein Kieselstein auf dem Boden des Fruchtsacks.
Er hatte hineingezoomt. Es waren doch zwei! Er hatte gezählt: zwei Köpfe, vier Arme, vier Beine. Und auch zwei klopfende Herzen. Dicht nebeneinander. Und dazwischen, wie ein gekrümmter Zeigefinger: eine einzige Wirbelsäule.
In diesem Augenblick war er blass geworden.
»Was ist denn, Herr Doktor?«, hatten ihn die Frauen beide gleichzeitig gefragt.
Er hatte nicht mehr darüber hinweggehen können. Aber die ganze Wahrheit hatte er auch nicht gesagt.
»Zwillinge. Es werden Zwillinge.«
***
Eines Tages kehrte Schwester Marthe nicht zurück ins Kloster von La Chapelle. Es geschah nach einem Aufenthalt bei ihren Eltern, die sie als Novizin einmal pro Jahr für fünf Tage besuchen durfte. Ihre Eltern reagierten anfangs äußerst erstaunt, als die Äbtissin ihnen die schlechte Nachricht mitteilte. Sie erklärten, dabeigewesen zu sein, als ihre Tochter in den Bus nach La Chapelle gestiegen sei. Erst nachdem Schwester
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