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Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder

Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder

Titel: Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Spindler
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sich zwingen, trotz dieser Erkenntnis gelassen zu bleiben. „Sagen Sie mir einen Namen. Ich werde dafür sorgen, dass der Täter – oder die Täterin – von der Bildfläche verschwindet. Dann gibt es nur wieder uns beide.“
    „Die Täterin?“ Er klang zufrieden.
    „War es das, was ich bei der Durchsuchung des Lagers herausfinden sollte?“
    „Nein. Aber Sie überraschen mich immer mehr. Bislang war ich … nicht sehr beeindruckt von Ihren kriminalistischen Fähigkeiten.“
    Es gab noch etwas anderes im Lager zu entdecken.
    Damit musste sie sich später befassen. „Ein Name. Dann gibt es wieder nur uns beide. Mir würde das gefallen. Ihnen nicht?“
    „Solche Dinge gibt es nicht ohne Gegenleistung.“
    „Was wollen Sie als Gegenleistung haben?“
    „Sie, Kitt.“ Ihm war nahezu anzuhören, wie er lächelte. „Ich will Sie besser kennenlernen.“
    „Ich habe Ihnen angeboten, aus dem Schatten hervorzutreten. Außer mir ist niemand hier.“
    „Wir müssen uns nicht gegenüberstehen, damit ich Sie kennenlerne. Ich will in Ihren Kopf, in Ihren Geist. Ich will wissen, wie Sie denken und was Sie fühlen. Ihre Träume und Ihre Ängste.“
    „Die kennen Sie doch längst“, erwiderte sie leise. „Oder etwa nicht?“
    „Nicht umfassend genug“, sagte er. „Ich will mehr. Erzählen Sie mir von Ihrer Ehe.“
    „Von meiner Ehe?“, wiederholte sie verblüfft.
    „Von Joe. Von Ihrer Liebe zu ihm.“
    Damit hatte sie nicht gerechnet. Er schien entschlossen, den Schutzwall zu überwinden, den sie um sich herum errichtet hatte, und einen Blick auf das zu werfen, was dahinter lag. Was würde er machen, wenn er in ihr Innerstes geschaut hatte?
    Er wollte sie töten.
    Nein, er wollte sie vernichten.
    Als habe er schon wieder ihre Gedanken gelesen, lachte er amüsiert. „Die Gegenleistung für einen Namen, Kitt. Tun Sie’s für die Kinder.“
    Die Kinder. Die Engel. Dass er sie als Faustpfand benutzte, widerte Kitt an. „Mistkerl. Also gut, fragen Sie.“
    „Wie sind Sie sich begegnet?“
    „Wir wurden schon auf der Highschool ein Paar“, erzählte sie ihm widerwillig. „Wir begegneten uns, als ich neu auf die Schule kam und er im zweiten Jahr war.“
    „Und wie?“
    Dass er diese Fragen stellte, wo sie erst vor so kurzer Zeit Joe verhört hatte, empfand sie als sehr eigenartig.
    „Eigentlich war es ein richtiges Klischee. Er rempelte mich an, mir fielen meine Bücher runter. Er half mir beim Aufsammeln.“ Sie atmete tief durch, während ihr auffiel, wie sehr sie zitterte. „Er hatte die blauesten Augen, die ich jemals gesehen habe.“
    „Und Sie haben sich einfach so in ihn verliebt?“
    „Ja, einfach so.“
    „Liebe auf den ersten Blick. Wie romantisch.“
    Sie merkte ihm an, wie sehr er sich über sie amüsierte. Romantisch war für ihn gleichbedeutend mit naiv und albern. „Ich wusste damals nicht, dass es das war. Rückblickend ist es mir klar geworden.“
    „Warum er? Wegen der blauen Augen?“
    „Joe ist ein guter Mann, der freundlichste und liebenswürdigste Mann, den man sich vorstellen kann.“ Sie musste unwillkürlich lächeln, als sie an ihn dachte. „Nicht nur mir gegenüber. Er liebt die Menschen, er schätzt sie … er schätzt ihre Unterschiede, sogar ihre Schwächen.“
    „Er ist ein verdammter Heiliger, wie? Sankt Joe.“
    „Wir hatten die gleichen Träume“, fuhr sie fort, ohne von seinem gehässigen Einwurf Notiz zu nehmen. Ihr wurde bewusst, dass es nicht um ihn ging, den Engelmörder oder seinen Nachahmer. Es ging auch nicht um die Ermittlung, sondern allein um sie selbst.
    Es hatte eine heilende Wirkung.
    „Wir glaubten beide an die gleichen Dinge. An das Leben, seine Schönheit und Unverletzlichkeit, an das Leben nach dem Tod. Es ging uns um die Dinge, die wirklich zählten: Liebe, Familie, Vertrauen.“
    Während sie redete, wurden immer mehr Erinnerungen geweckt. Schöne Erinnerungen, an die sie seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. An Augenblicke, als sie lachten, als sie sich liebten. Als sie ihre Erfolge und ihre Ängste teilten. An die Geburt ihrer Tochter. An Joes Hand, die sie festhielt, als der Arzt ihnen sagte, Sadie habe Leukämie.
    Erinnerungen, die sie vergraben, die sie in einen Tresor tief in ihrem Inneren gesperrt hatte. Warum nur? Wie hatte sie es zulassen können, dass der Schmerz all diese Freude einfach fortspülte? Warum hatte sie zugelassen, dass gute Erinnerungen unter schlechten begraben worden waren?
    Es donnerte wieder, diesmal deutlich näher.

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