Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
2006
8:10 Uhr
Am Morgen erwachte Kitt und nahm als Erstes den Duft von gebratenem Speck wahr. Sie ließ die Augen geschlossen und atmete tief durch die Nase ein. Joes berühmtes Frühstück aus Speck und Eiern. Noch etwas, das ihr fehlte, seit sie von ihm geschieden lebte.
Sie öffnete die Augen einen Spaltbreit, die Sonne versuchte, sich um die Jalousie herum einen Weg ins Zimmer zu bahnen. Könnte sie doch bloß noch liegen bleiben, so wie sie es kurz nach ihrer Heirat gemacht hatten. Manchmal waren sie vor ein oder zwei Uhr mittags nicht aus dem Bett gekommen, weil sie gefaulenzt und sich geliebt hatten.
Die Erinnerungen ließen sie lächeln. Schließlich setzte sie sich auf, kletterte aus dem Bett und zog ihren Slip an. Dann ging sie zu der Kommode, in der Joe immer in der zweiten Schublade von oben seine T-Shirts liegen hatte.
Als sie die Schublade aufzog, sah sie, dass er es immer noch so machte. Sie nahm ein T-Shirt und drückte es an ihr Gesicht. Es duftete nach ihm, und es fühlte sich vom Tragen und Waschen wunderbar weich an.
Kitt zog es über, dann ging sie in die Küche.
Joe stand mit dem Rücken zu ihr, während er sich um das Rührei kümmerte. Im Zimmer sah es aus, als wäre ein kleiner Hurrikan durchgezogen, doch er war schon immer ein schrecklich unordentlicher Koch gewesen.
„Guten Morgen“, begrüßte sie ihn.
Er sah über die Schulter zu ihr und lächelte. „Du bist tatsächlichschon auf.“
„Ich hätte längst aufstehen müssen.“ Langsam fuhr sie sich durchs Haar. „Ich werde viel zu spät im Büro sein.“
Er schenkte ihr einen Becher Kaffee ein. „Du hast so tief und fest geschlafen, da brachte ich es nicht übers Herz, dich aufzuwecken.“
Ein tiefer, traumloser Schlaf, wie sie sich erinnerte. Für Körper und Seele war es eine echte Erholung gewesen.
„Wie ich sehe“, sagte sie, während sie zu ihm ging und ihm den Kaffeebecher abnahm, „vertrittst du immer noch die These, das Frühstück sei die absolut wichtigste Mahlzeit des Tages.“
„Oh ja.“
Sie trank einen Schluck Kaffee und sah Joe zu, wie er zwei Teller aus dem Schrank und Bestecke aus einer Schublade holte, anschließend zog er zwei Servietten aus dem Halter gleich neben dem Herd.
Es erschien ihr eigenartig, gar nichts zu tun. Joe war schon damals fürs Frühstück zuständig gewesen, doch sie und Sadie hatten immer den Tisch gedeckt und auch wieder abgeräumt, wenn sie fertig waren.
Genauso eigenartig war es für sie, sich in dem Haus aufzuhalten, das nicht mehr ihr Heim war, und zu sehen, dass er manche Dinge so fortführte, wie sie sie begonnen hatte, während anderes einen neuen Platz erhalten hatte.
Ob es ihm wohl auch seltsam vorkam, sie in seiner Nähe zu haben?
Kitt ließ den Blick zu den Tellern wandern. Zusammen mit Sadie hatte sie damals das Muster für das Geschirr ausgesucht – weiß mit einem gelbschwarzen Muster am Rand.
„Wie Hummeln!“, hatte Sadie gerufen.
Als sie sich scheiden ließen, hatte Kitt ihm alles überlassen. Sie wollte nicht an das gemeinsame Leben und an ihre Familie erinnert werden.
Sie bekam einen Kloß im Hals, als sie mit einem Finger über den Tellerrand strich. Mit einem Mal sehnte sie sich nach diesen Dingen ebenso wie nach den Erinnerungen.
Joe beobachtete sie. „Sadie hat die Teller ausgesucht“, sagte sie tonlos.
„Ja.“
„Die auch.“ Sie zeigte auf die Salz- und Pfefferstreuer in Gestalt von Micky Maus und Pluto. „Auf unserer Reise nach Disney World. Erinnerst du dich noch?
„Ich erinnere mich an alles, Kitt.“
Etwas an seinem Tonfall verschlug ihr den Atem.
Es gelang ihr nicht, ihm in die Augen zu sehen, und sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie so feige war. Wovor hatte sie überhaupt Angst?
Der Moment verstrich, ohne dass etwas geschah, und er verteilte das Rührei – mit Pilzen, Zwiebeln und Käse zubereitet – auf den beiden Tellern. „Auch Speck?“
„Natürlich auch Speck, du Dummkopf.“
Zwei Streifen legte er auf ihren Teller, dann zeigte er auf die English Muffins, die bereits getoastet und mit Butter bestrichen waren.
Während sie aßen, unterhielten sie sich über Belangloses. Das Wetter, das Essen, Neues von gemeinsamen Bekannten und Verwandten. Als sie fertig waren, sprach Joe leise ihren Namen, und sie blickte auf.
„Bist du jetzt bereit, über das zu reden, was dich heute Nacht zu mir geführt hat?“
Mit einem Schlag kam ihr alles zurück ins Gedächtnis. Brian, der Anruf von Peanut, seine Fragen.
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