Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
und Menschenfreund benannt worden, auf den auch die Idee für das Zentrum zurückging. Jedenfalls war das die Version, die M.C. von der Leiterin erfuhr, während sie zu deren Büro gingen. Es war die erste Einrichtung dieser Art in der Stadt gewesen, die eine dringend benötigte Alternative als Wohnsitz für ältere Bürger darstellte. Johnsons Stiftung sorgte auch dafür, dass Bedürftige unterstützt wurden, die bis zu zehn Prozent der Bewohner ausmachen durften. Der jüngste Neuzugang, ein Mann namens Billy Hatfield, war erst an diesem Morgen eingezogen.
Sie gingen an einer Reihe älterer Damen vorbei, die alle im Rollstuhl saßen. Einige der Frauen dösten, andere winkten freundlich der Leiterin zu, wieder andere hatten irgendetwas zu nörgeln.
„Worauf warten sie?“, fragte M.C.
Die Leiterin lächelte ihr zu. „Montags kommt Mr. Kenneth, er ist Friseur. Jeden Dienstag nach dem Mittagessen kann man sich in einer Liste vormerken lassen. Wie Sie sehen, ist Mr. Kenneth vor allem bei den Damen sehr beliebt.“
Sie erreichten das Büro, neben der Tür hing ein Schild: Patsy Anderson. Leiterin.
Nachdem sich beide gesetzt hatten, fragte diese: „Was kann ich denn für Sie tun, Detective?“
„Ich hatte gehofft, Sie würden mir etwas über Rose McGuire sagen können.“
Sie wurde ernst. „Sie meinen doch nicht etwa …“
„Doch, die meine ich, Miss Anderson. Wir prüfen, ob wir den Fall noch mal aufrollen.“
Über diese Neuigkeit war die Leiterin ganz offensichtlich nicht erfreut, was M.C. ihr nicht verdenken konnte. Sollte der Fall tatsächlich wieder aufgerollt werden, würden die Medien erneut darüber berichten. Und das bedeutete nach so vielen Jahren Ruhe nichts anderes als schlechte Publicity.
Allerdings konnte Miss Anderson nicht ahnen, wie schlecht diese Publicity unter Umständen ausfallen würde.
„Das ist schon lange her. Da habe ich noch gar nicht hier gearbeitet. Ich fing erst 2002 an.“
„Gibt es beim Personal noch jemanden, der damals schon hier war?“
Die Leiterin legte die Stirn in Falten. „Auswendig weiß ich das nicht. Da muss ich in die Personaldateien sehen.“
„Würden Sie das dann bitte tun?“
„Das wird eine Weile dauern.“
„Wie lange in etwa?“
„Spätestens bis heute Abend“, antwortete Miss Anderson nach einem Blick auf ihre Uhr.
„Das wäre sehr hilfreich.“
„Wissen Sie“, fuhr sie fort, „meine Vorgängerin ist zwar im Ruhestand, aber sie lebt hier in der Stadt. Sie würde sicher gern mit Ihnen über den Fall reden. Der Mord traf sie damals sehr schwer, und sie ließ sich deshalb auch pensionieren. Wenn Sie wollen, rufe ich bei ihr an und frage sie, ob Sie sie besuchen können.“
Zwanzig Minuten später stand M.C. Wanda Watkins gegenüber, einer kleinen, energischen Frau mit silbergrauem Haar und ungewöhnlich großen Augen.
„Danke, dass ich vorbeikommen konnte, Mrs. Watkins.“
„Sagen Sie Wanda zu mir. Treten Sie doch ein.“
Sie führte M.C. in das kleine Wohnzimmer. Auf der breiten Rückenlehne des Sofas hatte es sich eine große gescheckte Katze gemütlich gemacht, eine zweite lag auf den Kissen.
Bedauerlicherweise war M.C. gegen Katzen allergisch, und sie merkte schon, wie ihre Nase zu kribbeln begann.
„Meine Babys“, erklärte die Frau, nahm eines der Tiere auf den Arm und scheuchte das andere vom Sofa. „Setzen Sie sich doch.“
Nachdem M.C. Platz genommen hatte, zückte sie Notizblock und Stift. „Wie Patsy Ihnen ja bereits sagte, beschäftigen wir uns momentan wieder mit dem Mord an Rose McGuire. Möglicherweise gibt es eine neue Spur.“
„Gott sei Dank!“, rief Wanda aus, während sie die Katze streichelte. „Es war für mich immer schwierig, mit dem Wissen zu leben, dass man ihren Mörder nicht gefasst hatte. Nicht nur, weil er weiter auf freiem Fuß war, sondern auch, weil Miss Rose eine so nette Frau war. Sie lächelte immer und hat sich nie beklagt.“ Sie beugte sich vor. „Nicht alle sind so, müssen Sie wissen. Manche sind streitsüchtig, andereverbittert. Ihnen fehlt die gewohnte Eigenständigkeit, andere fühlen sich nicht wohl, und ein paar trauern ihrer verlorenen Jugend nach.“ Sie lächelte. „Ich habe sie alle gemocht, auch die kratzbürstigen.“
„Ihr Job hat Ihnen wohl wirklich Spaß gemacht.“
„Oh ja, sehr sogar.“
„Warum gingen Sie dann in den Ruhestand?“
„Nach Rose … ich fand, ich sollte meinen Platz räumen und ihn jemandem überlassen, der jünger ist als ich.“ Ihre
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