Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
seine Opfer nicht nach emotionalen, sondern intellektuellen Gesichtspunkten auszuwählen.“
„Er ist auf seine Verbrechen stolz und bezeichnet sie als vollkommen.“
„Wir zeichnen hier das Porträt eines Täters, der sich der Welt gegenüber beweisen will“, sagte Kitt. „Oder gegenüber einer bestimmten Person.“
„Mutter? Vater? Jemand, der ihn kritisiert und heruntergemacht hat.“
Ja, das war der Mann, den sie im Verlauf der Telefonate kennengelernt hatte. „Das Klebeband auf dem Mund, ein Symbol dafür, jemanden zum Schweigen zu bringen. Und bei den Kindern das Lipgloss – auch ein Mittel, um die Aufmerksamkeit auf den Mund zu richten. Darum ist es ihm sowichtig, andere zu kontrollieren. Irgendwann in seinem Leben war er machtlos gewesen. Deshalb wird er auch jedes Mal so wütend, wenn ich ihn in die Enge treibe.“
„Und trotzdem fällt er über die Wehrlosen her.“
„Klassischer Fall von Selbsthass.“
„Und dann taucht der Nachahmer auf.“
„Er kennt den Nachahmer persönlich, vielleicht aus dem Gefängnis.“
„Er ruft dich an, Kitt, und will, dass du ihn schnappst. Er sagt, er will dir helfen.“
„Aber sein Angebot hat einen Haken“, fuhr Kitt fort. „Er will mit mir spielen und sehen, wie brav ich ihm gehorche. Er hat das Sagen, und er demonstriert seine Überlegenheit.“
„Nur, warum wählt er dich aus?“, wunderte sich M.C.
„Weil er mich für verwundbar hält“, sagte sie, auch wenn ihr diese Beschreibung widerstrebte. „Er sucht sich die Wehrlosen aus.“
„Ja.“ M.C. rutschte von der Tischplatte. „Für ihn ist es wichtig, dass er gewinnt. Er spielt mit gezinkten Karten, er hat die Trümpfe in der Hand. Und das bezeichnet er dann als Klugheit.“
„Und der Nachahmungstäter …“
„Es gibt keinen Nachahmungstäter“, erklärte M.C. auf einmal. „Kitt, er ist der Engelmörder und der Nachahmer zugleich. Es geht ihm nicht darum, die Kinder zu ermorden, sondern darum, dich in sein Spiel einzubeziehen.“
Kitt wollte das zwar nicht glauben, doch es war durchaus möglich, die Puzzleteile so zusammenzufügen, dass sich dieses Bild ergab. „Aber die Haltung der Hände …“
„… hat nichts zu bedeuten. Das war nur ein Trick, um dich in den Fall hineinzuziehen und sicherzustellen, dass dirdie Ermittlungen übertragen werden.“
Es war durchaus denkbar. Auf diese Weise hatte er Kitt in sein Spiel verwickelt, und gleichzeitig ließ er sie alle irgendwelchen scheinbaren Fährten nachlaufen. „Und der Schutzanzug …“
„Der beweist, wie schlau er ist. Er kennt sich aus mit Spuren und Ermittlungen. Er weiß, wonach wir suchen, und er vermeidet, irgendwelche Dinge zu hinterlassen, die uns zu ihm führen könnten.“
„Er hält uns auf Trab, er kennt sich aus mit der Spurensicherung, und er weiß genau, wozu wir in der Lage sind und was wir nicht leisten können.“
„Er hat Buddy Brown benutzt“, fügte M.C. hinzu. „Er hat uns zu ihm geführt, weil er wusste, wir würden auf diese Spur anspringen. Ob er damit gerechnet hat, dass wir den Leichnam so schnell entdecken, lässt sich nicht sagen.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Aber was ist mit Brian? Welche Rolle spielt er dabei?“
„Wenn ich mit Allen gesprochen habe, gehe ich nach unten zur Spurensicherung, um zu hören, was die ballistische Untersuchung ergeben hat. Danach kümmere ich mich darum, was Brian gestern noch gemacht hat.“ Kitt sah auf ihre Armbanduhr. „Ich glaube, wir sollten uns noch ein letztes Mal mit dem Inhalt des Lagerraums beschäftigen.“
„Gut, darum kümmere ich mich.“ M.C. betrachtete den Notizblock, dann schaute sie zu Kitt. „Wir haben eigentlich alles ausgeschöpft, was wir über die toten Mädchen in Erfahrung bringen konnten. Aber wie sieht es mit den alten Frauen aus?“
„Ich hatte mir die Akten angesehen. Brian und der Sergeant hatten die Fälle bearbeitet. Gestern sprach ich nochmit Brian darüber.“
„Wie wäre es, wenn wir Verwandte und Freunde der Opfer noch einmal befragen?“
„Das hatte ich schon in Erwägung gezogen.“
„Da es ja nun einen Zusammenhang mit den Kindermorden gibt, lässt sich vielleicht irgendetwas finden, das damals noch keinen Sinn ergab, dafür aber unter Umständen heute.“
„Willst du das übernehmen?“
„Wird gemacht. Die Akten?“
Kitt holte sie aus ihrem Schreibtisch. „Du kannst mich ruhig als verrückt bezeichnen, M.C., aber ich habe so ein Gefühl, dass wir ihn bald finden
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