Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
ein: dass sie die Distanz zum Täter verloren hatte und von ihm besessen war, doch das stimmte nicht. Warum wollte bloß niemand einsehen, dass es nicht so war?
Sie sagte es ihm auf den Kopf zu, sie flehte ihn an, ihr zu glauben.
Er erwiderte, er glaube ihr, aber sie wusste, es stimmte nicht. Vielleicht lag es an dem mitleidigen Blick in seinen Augen, vielleicht auch an der Art, mit welcher Endgültigkeit er hinter ihr die Haustür zuschlug, als sie hinausging.
Ihr Wagen wurde von einer Straßenlampe beleuchtet, und als sie um ihn herumgehen wollte, stutzte sie plötzlich,da ihr auf der Beifahrerseite etwas auffiel.
Jemand hatte den Lack zerkratzt.
Nein, das waren nicht bloß Kratzer, dort stand etwas geschrieben. Er hatte ihr eine Nachricht hinterlassen, eingeritzt in den Lack von Beifahrertür und Kotflügel.
Nie den Blick abwenden.
40. KAPITEL
Freitag, 17. März 2006
0:45 Uhr
Ich muss verrückt sein, dachte M.C. Es war weit nach Mitternacht, und sie stand hier bei Lance vor der Tür. Sie hatte nicht schlafen können, weil ihr zu viel durch den Kopf ging. Der Konflikt mit Kitt, Brians schäbige Anmache, die Ermittlungen – eigentlich alles.
Angenehm waren nur die Gedanken, die sich um Lance drehten. Ob so wohl eine Sucht begann? War es dieses Bedürfnis, wieder Lust zu verspüren, das einen davon abhielt, vernünftig zu handeln? Jene Lust, die die Nerven beruhigte, die einen wieder schlafen ließ, die der Seele oder der Psyche Frieden brachte?
Sie wusste, er war zu Hause. Sein Wagen stand vor dem Haus. Wenn sie klopfte, konnten zwei Dinge geschehen: Er ließ sie in seine Wohnung – oder er gab ihr einen Korb.
So wie ihr Tag gelaufen war, sollte sie wohl besser nach Hause fahren, bevor sie es bereute. Trotzdem klopfte sie an. Erst nur zaghaft, dann mit mehr Nachdruck.
Als die Tür aufging, drang beruhigende klassische Musik nach draußen. Lance sah sie an und machte eine verblüffte Miene. „M.C.? Was …“
„Was ich hier mache? Das weiß ich so wenig wie du.“
Er ging nicht zur Seite, um sie hereinzulassen, woraufhin ihr in den Sinn kam, er könnte Besuch haben. Allerdings sah er so aus, als hätte sie ihn aus dem Bett geholt. Sein Haar war zerzaust, das Hemd aufgeknöpft, und der Gürtel seiner Hose stand offen. Der Gedanke, eine andere Frau könnte inseiner Wohnung sein, machte sie krank.
„Ich hätte anrufen sollen“, sagte sie und wich einen Schritt zurück. „Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe.“
„Stell dich doch nicht so an.“ Er nahm sie an den Händen und zog sie nach drinnen, um sie an sich zu drücken und sein Gesicht in ihrem Haar zu vergraben. „Du riechst so gut.“
Er war allein! Sie legte die Arme um ihn. Er fühlte sich so dünn an, seine Haut erschien ihr so kühl. Während sie ihn festhielt, spürte sie, wie ihre Wärme auf ihn übersprang.
„Geht es dir gut?“, fragte sie.
„Jetzt ja.“
Sie lächelte. „Mir auch.“
Nachdem er die Tür abgeschlossen hatte, führte er M.C. in das kleine Wohnzimmer. Es war makellos aufgeräumt und hatte eine überraschend behagliche Note. Bei den meisten Junggesellen war davon nichts zu merken.
„Schlechter Tag?“
„Schlechter Abend“, gab er zurück.
„Haben sie nicht gelacht?“
Er sah sie an, als hätte sie ihn geohrfeigt. „War es das?“, hakte sie nach.
„Nein, heute haben sie nicht gelacht.“
„Das tut mir leid. Ich …“
Sanft legte er eine Hand auf ihren Mund, dann führte er sie wortlos ins Schlafzimmer, wo sie sich liebten – diesmal ohne Gelächter.
Überhaupt ohne irgendeinen Laut.
Jeden Ton, der ihr über die Lippen kommen wollte, erstickte er mit seinem Mund. M.C. ließ ihn die Führung übernehmenund genoss, wie die Lust von diesem Schweigen genährt wurde. In ihr steigerte sich das Verlangen, ihre Lust herauszuschreien, und es kam ihr vor, als würde sie auf einen Höhepunkt zusteuern, der entfesselt werden wollte.
Dann war der Augenblick des Höhepunkts gekommen und traf sie mit einer ungeheuren, nie gekannten Wucht. Es war die unglaublichste erotische Erfahrung, die sie je gemacht hatte.
Lance brach als Erster das Schweigen. „Wow.“
Sie lächelte und drückte ihr Gesicht an seine schweißnasse Schulter. „Du nimmst mir das Wort aus dem Mund.“
„Hungrig?“
M.C. schüttelte schwach den Kopf. „Müde. Und sehr glücklich.“
„Als du herkamst, warst du nur schlecht gelaunt.“
„Ich hatte einen ziemlich anstrengenden Tag“, entgegnete sie, gähnte und
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