Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
weil dann alle als Sieger aus den Ermittlungen hervorgingen – vor allem die Kinder.
Kitt saß am Küchentisch, die Akten vor sich ausgebreitet. Der Chief war damit einverstanden gewesen, dass sie sich die Fälle Olsen, Lindz und McGuire ansah, um nach Gemeinsamkeitenzwischen diesen Verbrechen und den Taten des Engelmörders zu suchen. Vielleicht hatten die Beamten, die die Morde seinerzeit untersucht hatten – Brian und Sergeant Haas – etwas übersehen. Das war gewesen, kurz bevor sie Brians Partnerin wurde.
Allmählich konnte sie sich in die Denkweise dieses Mistkerls hineinversetzen. Diesmal würde sie ihn zu fassen bekommen, und wenn es das Letzte war, was sie in ihrem Leben tat.
Nachdem sie aufgestanden war, streckte sie sich. Jeder Muskel in ihrem Leib schmerzte, sie fühlte sich völlig verspannt. Um dagegenzuarbeiten, ließ sie die Schultern kreisen und bewegte den Kopf hin und her. Die Anspannung wurde ein wenig gelindert, als Kitt begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.
Drei alte Frauen, alle zu Tode geprügelt. Brutale, blutige Morde, die Tatorte im Gegensatz dazu auffallend sauber. Eine Frau lebte in einem Haus für betreutes Wohnen, eine andere in einem Apartment, die dritte im eigenen Haus. Jede war allein gewesen. In keinem der Fälle hatte sich der Täter an ihnen vergangen. Die Opfer waren auch nicht ausgeraubt worden. Es gab keine Zeugen, keine Fingerabdrücke, kein Haar, keine Körperflüssigkeiten.
Frustriert kehrte sie an den Tisch zurück. Plötzlich ging die Türglocke, Kitt sah verwundert zur Uhr. Es war nach elf, also recht spät für einen Besucher.
Als sie zur Tür ging, konnte sie durch das Fenster Danny sehen, der im Schein der Verandalampe stand. Er wirkte abgekämpft und angespannt.
„Danny?“, fragte sie, als sie öffnete. „Was machst du denn um diese Zeit noch hier?“
„Kann ich reinkommen?“
„Sicher.“ Sie machte einen Schritt zur Seite, damit er in den kleinen Flur eintreten konnte, und schloss die Tür. Mit einer Kopfbewegung deutete sie in Richtung Küche. „Ich habe gerade eine Kanne Kaffee aufgebrüht.“
Er folgte ihr, lehnte das Angebot aber ab. „Tut mir leid, ich habe schon zu viel Kaffee getrunken.“
Kitt schenkte sich eine Tasse ein und merkte, wie Danny sie kritisch dabei beobachtete, ehe er den Blick auf die Akten richtete.
„Deine Hände zittern“, stellte er fest.
„Vermutlich habe ich auch zu viel Kaffee getrunken“, gab sie lächelnd zurück.
„Dann solltest du vielleicht nicht noch mehr trinken.“
„Ich habe noch eine Menge zu tun, und ich brauche den Kaffee, wenn ich nicht zwischendurch einschlafen will.“
„Ich mache mir Sorgen um dich, Kitt.“
„Wieso denn?“
„Welchen Tag haben wir heute?“
Sie sah ihn lange an und musste einsehen, dass sie es nicht wusste. Ihr Zeitgefühl ließ sie im Stich.
„Es ist Donnerstag, Kitt.“
Die Anonymen Alkoholiker! Sie hatte tatsächlich das Treffen versäumt!
„Oh verdammt. Ich war so sehr in meine Arbeit vertieft … ich habe es total verschwitzt.“
Er nahm ihr den Becher weg, stellte ihn zur Seite und fasste ihre Hände. „Als ich dich neulich abends anrief, da hattest du getrunken.“
Am liebsten hätte sie es verneint, doch das Leugnen war genauso schlimm wie das Trinken. „Ja.“
„Und heute bist du nicht zur Gruppe gekommen.“
„Ich habe es bloß vergessen, ich bin nicht absichtlich zu Hause geblieben.“
Er erwiderte darauf nichts. Das musste er auch nicht, denn seine Miene sprach Bände.
„Es war nur das eine Mal, ich schwöre es dir“, beteuerte sie hastig. „Es wird nicht wieder vorkommen.“
„Hast du nicht das Gleiche davor auch gesagt? Dass du alles im Griff hast?“
„Ich weiß, aber es … es ist etwas passiert. Joe … seine Verlobte hat eine Tochter … sie ist zehn.“
Ihr Freund verstand, was das für sie bedeuten musste. „Oh verdammt, Kitt … das tut mir sehr leid“, sagte er leise.
So wie die anderen aus der Gruppe wusste auch Danny, was sie durchgemacht hatte. Sie kannten all ihre Sorgen und Ängste, all die Dinge, von denen sie verletzt und in die Alkoholsucht getrieben worden war.
Er legte seine Arme um sie, und Kitt ließ den Kopf auf seine Schulter sinken, da sie mit einem Mal von ihren Gefühlen überwältigt wurde.
Sie fühlte sich so müde, so todmüde.
„Es tat so weh“, flüsterte sie. „Ich … ich kam mir so hintergangen vor.“
Sanft rieb er über ihren Rücken und strich über die verspannten
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