Der Engelspapst
geblieben wäre. Nicht einmal eine Notbeleuchtung schien es hier zu geben.
Der Professor richtete den gelben Lichtkegel auf eine zweiflügelige Bodenklappe aus rostüberzogenem Eisen und drückte Alexander die Lampe in die Hand. «Halten Sie doch mal.»
Aus einer dunklen Ecke holte er einen Eisenhaken, mit dem er die Flügel der Bodenklappe einen nach dem anderen anhob.
Darunter tat sich ein Schacht auf, aus dem ihnen muffiger Gestank entgegenschlug. In das steinerne Rund der Schacht-wand waren eiserne Steigeisen geschlagen.
«Das ist der Schacht, durch den Albert Rosin und Cellini zum Tiber hinuntergestiegen sind. Er wurde erst vor einigen Jahre entdeckt und kommt in der Literatur über die Engelsburg nicht vor. Wenn der Bericht gefälscht sein sollte, hätte der Verfasser kaum davon wissen können.»
«Irre!», entfuhr es Elena. «Das reicht für ganze Artikelserien.»
«Ich weiß nicht recht», murmelte Alexander. «Warum hätte Leonardo da Vinci dem Papst zwei Taucheranzüge schenken sollen?»
«Vergessen Sie nicht, dass diese Anzüge damals Wunderwerke von unschätzbarem Wert waren», sagte Solbelli. «Außerdem hatte der Papst sehr wohl eine praktische Verwendung dafür, wie die Flucht von Albert Rosin und Cellini gezeigt hat.»
Alexander war noch immer nicht zufrieden, zu unwahrscheinlich erschien ihm all das. «Das Geschenk war also kostbar, schön, aber was war die Gegenleistung? Nur, dass Leonardo zu Studienzwecken Einblick in die Geheimsammlung des Vatikans erhielt?»
«Der Vatikan hütet Geheimnisse, die wir nicht ermessen», erwiderte Solbelli.
«Wem sagen Sie das, Professor», seufzte Alexander.
«Vielleicht hat der Papst sich mit Leonardo da Vinci eine Laus in den Pelz gesetzt», fuhr Solbelli fort. «Unter dem Vorwand, Studien zu betreiben, könnte Leonardo im Geheimarchiv des Vatikans spioniert haben. Seine berühmten Gemälde und Konstruktionen lassen die meisten Menschen, auch die Wissenschaftler, vergessen, dass das Genie auch eine dunkle, bis heute kaum erforschte Seite hatte. Einige Überlieferungen sagen Leonardo häretische Äußerungen nach. Er soll zu den Katharern gehört und für die Ketzer geheime Missionen ausgeführt haben.»
«Einfach irre», sagte Elena noch einmal. «Warum habe ich darüber noch nichts gelesen?»
«Weil Historiker, wie alle anderen ernsthaften Wissenschaftler, die Spekulation meiden wie die Pest; das wäre unseriös. Außerdem gibt es Kreise, die solche Erkenntnisse mit aller Macht unterdrücken.»
«Wen meinen Sie damit?», fragte Alexander. «Die Ketzer oder die Kirche?»
«Beide kommen in Frage. Diametrale Zielsetzungen können durchaus übereinstimmende Maßnahmen erfordern.»
«Geschichtsfälschung nenne ich aber eine ziemlich einschneidende Maßnahme», empörte Elena sich.
Solbelli lächelte wissend. «Geschichte wird nun mal von denen gemacht, die sie schreiben.»
«Und die Fugger?», fragte Alexander, als sie wieder in der Küche saßen. «Welche Rolle haben die beim Sacco di Roma gespielt?»
Solbelli kam mit einer Kanne frisch aufgebrühten Tees an den Tisch. «Was Albert Rosin über die hiesige Faktorei der Fugger berichtet, deckt sich mit den Erkenntnissen der Historiker. Die Niederlassung der Fugger drüben am anderen Tiberufer war so ziemlich der einzige Ort in ganz Rom, den die Plünderer verschont haben, denn dort erhielten sie Wechsel für ihre Beute.
Aber die Fugger standen auch in enger Beziehung zu Karl V. Ihr Geld hat bei der Kaiserwahl für die nötigen Stimmen gesorgt, und auch danach stand Karl ständig mit Riesensummen bei ihnen in der Kreide.»
Elena, die ihre Hände an der Teetasse wärmte, fragte:
«Weshalb haben die Faktoren dann gegen die Interessen des Kaisers gehandelt und Albert Rosin und Cellini geholfen?»
«Mit dieser Frage berühren Sie genau das Geheimnis des Fugger’schen Erfolgs», sagte der Professor und nahm sich noch ein Stück Kirschkuchen. «Die Augsburger waren vielfältig engagiert und haben auch mit der Kirche gute Geschäfte gemacht. Der gesamte Ablasshandel für den Neubau von Sankt Peter lief über die Fuggerbank und bis 1524 haben die Fugger auch die päpstliche Münze verwaltet.»
«Also hatten sie gar kein Interesse am Untergang des Papsttums», schlussfolgerte Elena. «Sie haben vom Gleichgewicht der Kräfte profitiert.»
«So kann man es ausdrücken», nuschelte Solbelli, den Mund mit Kuchen voll gestopft. «Die Fugger hatten überall ihre Finger drin.
Auch die Anwerbung der ersten
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