Der Engelspapst
Alexander kopfschüttelnd. «Zum Beispiel diese Flucht unter Wasser.»
Der Professor wischte ein paar Kuchenkrümel beiseite und legte das Buch auf den Küchentisch. «Kommen Sie mit, ich will Ihnen etwas zeigen.»
Sie folgten ihm in einen Nebenraum, der so groß war, dass er den gesamten Rest des Erdgeschosses einnehmen musste. Es war eine Mischung aus Bibliothek, Museum und Rumpel-kammer. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit breiten Regalen zugestellt, die sich unter der Last alter und neuerer Bücher förmlich bogen. Auch auf dem Boden türmten sich Bücherstapel. Dazwischen standen alte Skulpturen, Antiquitäten jeder Art und, wie eine riesige braune Murmel, eine große hölzerne Weltkugel.
Solbelli steuerte eine der Bücherwände an. Die Bände standen auf jedem Regalbrett zwei oder drei Reihen tief, und darauf lagen noch mehr Bücher, sodass jeder Millimeter Raum ausgefüllt war. Die einfachen Winkelhaken schienen die hoffnungslos überlasteten Borde kaum halten zu können.
Vielmehr sah es so aus, als würde jedes Brett durch die unter ihm gestapelten Bücher gestützt und ein falscher Griff könne das labile System zum Einsturz bringen. Doch der Professor streckte mit traumwandlerischer Sicherheit eine Hand in das Büchergewirr und zog einen schweren Folianten hervor.
Als er den Band zu einem runden Tisch trug, auf dem sich wiederum Bücher stapelten, las Alexander auf dem Buchrücken in verschnörkeltem Golddruck: Leonardo da Vinci. Solbelli beugte sich über das Buch und blätterte darin, bis er die gesuchte Stelle fand. Er sah über die Schulter zu Alexander und Elena. «Hier, sehen Sie sich das an!»
Natürlich hatte Alexander schon Zeichnungen von Leonardo da Vincis technischen Erfindungen gesehen. Das Universalgenie der italienischen Renaissance hatte so ziemlich alles konstruiert, was in späteren Jahrhunderten tatsächlich gebaut worden war, ob nun ein Fahrrad, ein Auto, einen Helikopter, eine Hinterladekanone oder einen Panzerkampfwagen. Die aufgeschlagene Doppelseite zeigte in der für den Meister typischen Detailfreudigkeit einen Hafenbagger einen Schwimmbagger, ein Boot mit Schaufelrad-antrieb – und einen Taucheranzug.
«Das ist er», stieß Solbelli erregt hervor. «Sehen Sie, das Modell für den Anzug, den Albert Rosin beschrieben hat!»
Da war eine menschliche Gestalt skizziert, wie aus einem Katalog für Sadomaso-Freaks, von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet. Daneben sah man in größerem Maßstab ein Paar schwere Stiefel mit Haltekrallen unter den Sohlen und eine Stange mit gekrümmter Klinge, wie Albert Rosin sie als
«Hakenlanze» beschrieben hatte. Der Ledermensch hielt ein Seil mit einem Haken in der Rechten. Von seiner Kopfhaube führte ein langer, gewundener Schlauch nach oben, an dessen Ende so etwas wie eine Korkscheibe saß.
«Der Schnorchel ist natürlich zu lang», dozierte Solbelli.
«Wenn man den auseinander zieht, ist er mindestens so lang wie der Taucher. Bekanntlich ist es für Taucher aber wegen der Druckverhältnisse gefährlich, durch Schnorchel zu atmen, die länger sind als sechzig Zentimeter. Das hat Leonardo wohl später auch festgestellt und bei der Herstellung der Anzüge, die Albert Rosin und Benvenuto Cellini getragen haben, berücksichtigt.»
«Wenn Sie es sagen», erwiderte Alexander leidenschaftslos.
«Sie scheinen nicht überzeugt, Signor Rosin.»
«Bislang habe ich immer geglaubt, Leonardos kühne Konstruktionen seien nichts als graue Theorie gewesen.»
«Deshalb sind Albert Rosins Aufzeichnungen ja so wichtig.
Sie widerlegen diese Annahme, und nicht nur diese. Ich werde Ihnen noch etwas zeigen. Wenn Sie das sehen, werden Sie Ihrem Vorfahren ebenso glauben wie ich.»
Sie gingen hinaus in die Diele, wo Solbelli einen großen Schlüsselbund von einem eisernen Wandhaken nahm. Aus einer Küchenschublade holte er eine Taschenlampe. Es ging nach draußen in den Nieselregen, über Rampen und Stiegen an der Rotunde entlang, bis der Professor mit einem Schlüssel von dem großen Bund eine schmale Seitentür öffnete. Wenige kleine Notleuchten warfen spärliches Licht in die labyrinthischen Gänge, und Alexander war dankbar, dass Solbelli mit seiner Lampe nachhalf. Wieder ging es über Treppen und Rampen, jetzt allerdings abwärts. Die Luft wurde merklich kühler und feuchter. Zwei weitere Türen schloss Solbelli auf dem Weg nach unten auf. Die zweite führte in einen gänzlich unbeleuchteten Raum, der ohne die Taschenlampe ein finsteres Loch
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