Der Engelspapst
sich genau an und hielt sie gegen das Tageslicht, das durch ein schmutziges Fenster hereinfiel.
«Es ist echt», stellte er fest. «Echt in dem Sinne, dass Papier und Schrift aus dem sechzehnten Jahrhundert stammen.
Natürlich kann ich ohne einen Schriftvergleich nicht sagen, ob Ihr Vorfahr tatsächlich der Verfasser dieser Zeilen ist.»
Alexander musterte ihn durchdringend. «Woher wissen Sie, dass Albert Rosin mein Vorfahr war?»
«Elena hat Ihren Namen genannt, der mir nicht unbekannt ist.
Die Geschichte mit Ihrem Onkel und Ihrer Tante ging durch sämtliche Medien. Der Name Albert Rosin ist mir ebenfalls geläufig. Sie wissen vielleicht, dass die Renaissance meine Leidenschaft ist. Besonders interessiere ich mich für das Rom jener Epoche, und hier hat es mir aus nahe liegenden Gründen die Engelsburg angetan. Ich weiß aus alten Unterlagen, dass Albert Rosin zu den wenigen Guardiknechten gehörte, die den Sacco di Roma überlebten. Und dass Sie und Ihr verstorbener Onkel Ihre Abstammung auf jenen Albert Rosin zurückführen, stand nach dem Mord auch in jeder Zeitung.»
«Zuerst im Messagero » , betonte Elena.
«Verzeihen Sie mein Misstrauen», bat Alexander. «In letzter Zeit geschieht so viel – ich bin wohl nervlich etwas angeschlagen. Darf ich noch etwas fragen?»
«Deshalb sind Sie hier.»
«Wie können Sie die Echtheit des Buches behaupten, ohne es chemischen Analysen unterzogen zu haben?»
«Chemische Analysen sind nur erforderlich, wenn man Zweifel hat. Aber die habe ich nicht.»
«Ich hätte arge Zweifel, auch wenn ich kein Fachmann bin», bekannte Alexander. «Schon allein die Weiße des Papiers bei einem so alten Buch macht mich stutzig.»
«Gerade das spricht für die Echtheit», erklärte Solbelli mit dem Lächeln eines nachsichtigen Lehrers. «Das Buchpapier aus dieser Zeit vergilbt längst nicht so schnell wie das billige Zeug, das heute bedruckt wird. Auch wenn damals niemand an den Schutz der Umwelt gedacht hat, wurde doch weitgehend holzfreies Papier verwendet. Die ligninfreie Zellulose wurde aus Leinen- und Baumwollresten gewonnen.»
«Aber es könnte doch auch neueres Papier sein, so neu, dass es deshalb noch nicht vergilbt ist.»
«Kaum», beschied der Professor. Er schlug die erste Seite auf und hielt sie gegen das Fenster. «Sehen Sie sich das Papier genau an, Signor Rosin. Erkennen sie die feinen horizontalen und vertikalen Linien?»
«Ja, sieht aus wie ein Netz.»
«Ein Sieb, um genau zu sein. Mit einem Schöpfsieb holte man einen Teil des Papierrohstoffs aus der Bütte. Indem man das Sieb schüttelte, ließ man das überschüssige Wasser abfließen, und die Zellulosefasern verfilzten sich. Dieser Brei wurde auf einen saugstarken Wollfilz gedrückt und mit einem weiteren Filz bedeckt. So kam Schicht auf Schicht, und das Ganze wurde noch weiter entwässert. Für uns ist wichtig, dass sich das charakteristische Muster des Schöpfsiebs im Papier wieder findet. So wie hier. Die ganz feinen waagerechten Linien stammen von den Rippen des Bronzesiebs, die etwas gröberen senkrechten von den Stegen.»
«Man nennt es Rippbüttenpapier, nicht wahr?», meinte Elena, und der Professor nickte anerkennend. «Aber wird dieses Muster nicht bei modernen Edelpapieren nachgeahmt?»
«Sie haben Recht, Elena, das geschieht mit entsprechend strukturierten Walzen. Doch dies ist kein modernes Papier. Ich könnte Ihnen jetzt einen Vortrag halten über Dicke, Steifigkeit, Farbe, Rippen- und Stegabstände, aber das will ich Ihnen ersparen. Stattdessen mache ich Sie nur auf den Fisch aufmerksam. Sehen Sie hier!» Sein Zeigefinger wies auf ein Wasserzeichen im Papier, einen Fisch mit sehr großer Schwanzflosse und weit aufgerissenem Maul. «Fast jeder Papierhersteller hatte sein eigenes Wasserzeichen, das, aus Draht geformt, auf dem Schöpfsieb befestigt war. Dieser Fisch gehörte einem gewissen Bonizo Pescatore, dessen Tätigkeit in Rom zwischen ungefähr 1515 und 1550 nachgewiesen ist.»
«Pescatore heißt Fischer», murmelte Alexander auf Deutsch.
Laut und auf Italienisch sagte er: «Wenn man die Siebmuster fälschen kann, dann wohl auch die Wasserzeichen»
«Natürlich, gerade mit dem von Bonizo Pescatore hat man es mehrfach versucht, aber es ist niemandem gelungen. Geben Sie Acht!» Solbelli bewegte die aufgeschlagene Buchseite langsam vor dem Fenster hin und her, und etwas kaum Glaubliches geschah mit dem Wasserzeichen. Es sah aus, als bewege der Fisch sein Maul. Es schloss und öffnete
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