Der Engelspapst
mit vielen tausend Golddukaten und einer berühmten Reliquie, der heiligen Lanze. Geschenke waren es offiziell, in Wahrheit handelte es sich um Bestechungsgelder.
Der jüngere Bruder und Thronrivale des Sultans, Prinz Dschem, war vor Bajasid geflohen und befand sich in der Obhut des Vatikans. Genau genommen war es eine komfortable Haft, und Bajasid wollte vermeiden, dass Dschem auf freien Fuß kam.»
«An dem Smaragd muss etwas Besonderes gewesen sein, wenn Papst Clemens VII. und dieser geheimnisvolle Abbas de Naggera so viel Aufhebens darum gemacht haben», stellte Elena fest.
«Der Name des Smaragds verrät es und auch Albert Rosin erwähnt es in seinem Bericht», sagte der Professor. «Der verschollene Edelstein soll ein Gesicht im Profil gezeigt haben, und zwar das Gesicht von Jesus Christus.»
«Na und?» Alexander runzelte die Stirn. «Auf der ganzen Welt gibt es Millionen von Jesus-Bildnissen, geschliffen, gemalt, gezeichnet, geschnitzt oder modelliert.»
«Sicher», räumte Solbelli ein. «Aber das auf dem Smaragd galt als das einzige Porträt, das nach dem lebenden Modell entstanden war.»
Für eine kleine Ewigkeit herrschte Schweigen. Der Professor genoss den Eindruck, den seine Worte auf Alexander und Elena gemacht hatten.
«Nach dem lebenden Modell?», wiederholte Alexander schließlich. «Das Porträt ist zu Jesu Lebzeiten angefertigt worden und zeigt sein wahres Gesicht?»
Solbelli lächelte. «Eben darum nennt man den Smaragd die Wahre Ähnlichkeit Christi. »
Elena stellte eine Frage, die auch Alexander beschäftigte:
«Warum hätte der Papst eine Kopie von dem Porträt anfertigen lassen sollen?»
«Abbas de Naggera war hinter dem Stein her wie der Teufel hinter der armen Seele», antwortete der Professor. «Offenbar wollte der Papst verhindern, dass der Spanier die Wahre Ähnlichkeit Christi zu sehen bekam, und deshalb hat er ihm ein gefälschtes Porträt angedient. So sehe ich es.»
«Aber warum sollte Naggera das Bild nicht sehen?», fragte Elena weiter. «Was war daran so gefährlich?»
«Um das zu erfahren, müsste man den Smaragd wohl erst finden» meinte Solbelli. «Aber den hat seit fast fünfhundert Jahren niemand mehr gesehen.»
«Kunststück, wenn er in einer geheimen Kapelle unter dem Vatikan liegt», befand Elena und sah Alexander an. «Weißt du nichts darüber? Ihr Rosins gehört doch zu den Hütern dieses bemerkenswerten Edelsteins.»
«Das ist mir erst seit heute bekannt. Wenn ich wüsste, wie man zu der unterirdischen Kapelle kommt, würde ich sie mir sofort ansehen.»
«Davon weiß ich nichts», sagte der Professor ehrlich bekümmert. «Allerdings bezweifle ich, dass es die Kapelle überhaupt noch gibt. In den vergangen Jahrhunderten sind unter dem Vatikan viele Grabungsarbeiten vorgenommen worden. Ich will nicht in eure Geheimnisse dringen, aber falls ihr tatsächlich vorhabt, den Smaragd aufzuspüren, dann nehmt euch in Acht.»
Er klopfte auf das Buch. «Schon vor fünfhundert Jahren mussten Menschen wegen der Wahren Ähnlichkeit Christi ihr Leben lassen, womöglich viele Tausende.»
«Professor!», rief Elena. «Wollen Sie etwa andeuten, die Kaiserlichen hätten Rom nur überfallen, um in den Besitz des Smaragds zu kommen?»
«Die Landsknechte und Söldner wollten nur ihre Beute und ihre derben Vergnügungen. Aber dieser Abbas de Naggera scheint beim Sturm auf Rom eine treibende Kraft gewesen zu sein. Und man könnte vermuten, dass er nichts anderes im Sinn hatte als den Smaragd.»
«Wenn das wahr ist», sagte Alexander, «wenn der Spanier wirklich nur wegen dieses Edelsteins Tausende in den Tod geschickt hat, dann kann ich meinen Urahn nur dazu beglückwünschen, dass er ihm den Schädel gespalten hat.»
«Vielleicht hat Albert Rosin damit die Bedrohung aus der Welt geschafft, vielleicht aber auch nicht», sagte Solbelli düster.
«Denkt an meine Warnung: Was immer ihr vorhaben mögt, seid vorsichtig!»
15
Montag, 11. Mai, abends
«Er hat ihn eingekerkert!», rief Alexander.
«Wer? Und wen?», fragte Elena, die den Tisch deckte.
«Der Papst hat Cellini eingesperrt. Das hat der Goldschmied nicht aus seiner Autobiographie gestrichen.»
Er tippte auf den abgegriffenen Einband des Buches, in dem er eben gelesen hatte, Leben des Benvenuto Cellini. Es war eine deutschsprachige Ausgabe, übersetzt von keinem Geringeren als Goethe. Solbelli hatte den Lebensbericht aus einem seiner Regale gefischt und Alexander geliehen. Im Gegenzug hatte dieser ihm Albert
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