Der Engelspapst
Maskierten; die Augen schienen aufzuleuchten.
Es war ein Warnsignal, doch Alexander bemerkte es zu spät.
Wer auch immer sich in seinem Rücken angeschlichen hatte, er war sehr leise gewesen. Jetzt stand er hinter Alexander, der nicht mehr wahrnahm als einen Schatten.
Ein Schlag auf seinen Hinterkopf löschte alles aus. Ihm war, als falle er in ein unendlich tiefes Loch. Ein Grab, aus dem ihm Heinrich Rosin, Juliette und Marcel Danegger zuwinkten. Und sein Vater.
3
Es war wie das Auftauchen aus einer Nebelbank. Die Schleier verzogen sich quälend langsam, und ebenso langsam nahm die Welt feste Konturen an. Das Erste, was er sah, war das matte Schwarz des Doppelstrahlers unter der Decke. Die Lampe war ausgeschaltet, doch es war taghell in seinem Zimmer. Er drehte den Kopf. An der Wand neben dem Bett hingen drei Fotos, von der Sonne schon ausgebleicht.
Das älteste Bild zeigte vor einem künstlichen Atelierhinter-grund ein Brautpaar; die beiden umarmten einander leicht verkrampft und lächelten ebenso leicht verkrampft in die Kamera. Der Brautschleier umrahmte ein madonnenhaft schönes Gesicht mit großen, ausdrucksstarken Augen. Ein paar freche rotbraune Locken, die sich unter dem Schleier hervorstahlen, nahmen dem Gesicht die Strenge. Der Bräutigam, mit akkurat geschnittenem dunklem Haar, war auch im Hochzeitsfrack durch und durch Soldat. Obwohl mehr als einen Kopf größer als seine Braut, brachte er es kaum fertig, sich ein wenig zu ihr hinunterzubeugen. Seine Haltung war gerade, fast steif, als hätte er den Schaft einer Hellebarde verschluckt. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und unter dem Lächeln ernst und entschlossen. Man sagte Alexander nach, er sei seinem Vater sowohl äußerlich als auch dem Wesen nach sehr ähnlich.
Das Foto war über dreißig Jahre alt. Kein Jahr nach der Hochzeit war Isabelle Rosin gestorben, bei Alexanders Geburt.
Alexander war die ersten Jahre bei den Eltern seiner Mutter aufgewachsen und dann in ein Internat geschickt worden.
Markus Rosin hatte sich als allein stehender Angehöriger der Schweizergarde schlecht um den Sohn kümmern können. Und daran, seinen Beruf aufzugeben, hatte er nicht einmal einen Sekundenbruchteil lang gedacht. Seit Generationen waren die Rosins Soldaten und Schweizergardisten. Und sie waren stolz darauf.
Markus Rosin besonders. Er hatte dem Heiligen Vater mit solcher Inbrunst gedient, dass er als erster Rosin zum Gardekommandanten aufstieg. Das zweite Foto zeigte ihn in tadelloser Grangala-Uniform mit dem letzten Papst auf dem Damasushof, während seiner Vereidigung als neuer Kommandant. Das war vor dreizehn Jahren gewesen.
Alexander, der stolz im Publikum gestanden hatte, hörte heute noch, wie sein Vater traditionell in drei Sprachen seinen ersten Tagesbefehl verkündete: «Viva il papa! Es lebe die Schweiz!
Honneur et fidelité!»
Das dritte Foto war drei Jahre später entstanden. Diesmal trug Alexander die Uniform der Schweizer Armee, und sein Vater war zur Vereidigung des Rekruten erschienen. Der Fotograf hatte den Augenblick festgehalten, in dem der Vater dem Sohn zur Gratulation die Hand reichte. Obwohl die Aufnahme leicht verwackelt war, spürte man Markus Rosins Steifheit und Distanz, als fühle er sich nicht recht wohl. So war es immer gewesen, wenn er Zivil getragen hatte.
Die Begegnungen zwischen Vater und Sohn waren nicht sehr häufig gewesen, und auch während der wenigen zusammen verbrachten Ferien hatten sie die Kluft nicht zu überwinden vermocht. Einige gemeinsame Tage und Nächte änderten nichts daran, dass jeder sein eigenes Leben führte. Inzwischen bedauerte Alexander, dass sie einander nicht näher gekommen waren.
Bei seiner Vereidigung hatten sie sich zuletzt gesehen. Kurz darauf war Oberst Markus Rosin unerwartet verstorben, und sein jüngerer Bruder Heinrich hatte seine Nachfolge als Gardekommandant angetreten. Heinrich Rosin war es auch gewesen, der Alexander gedrängt hatte, nach dem Wehrdienst zur Garde zu kommen. Am Abend von Alexanders Vereidigung als Gardist, wie stets an einem sechsten Mai, hatte der Onkel ihm seine Hoffnung bekundet, er werde dereinst der dritte Gardekommandant sein, der den stolzen Namen Rosin trage.
Seit fünfhundert Jahren dienten die Rosins in der päpstlichen Garde, seit Albert Rosin aus Zürich unter Hauptmann Kaspar Röist den Papst gegen deutsche Landsknechte und spanische Söldner verteidigt hatte.
«Wie geht es dir, Alex?» Erst jetzt wurde Alexander bewusst, dass er nicht
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