Der Engelspapst
neuen Papstes haben schon genug Staub aufgewirbelt. Einen ungünstigeren Zeitpunkt für ungeklärte Morde im Vatikan könnte es gar nicht geben. Deshalb hat das Staatssekretariat beschlossen, die Affäre so schnell wie möglich beizulegen.»
«Das Staatssekretariat oder Kardinal Musolino?»
Utz antwortete mit einer höchst berechtigten Gegenfrage:
«Gibt’s da einen Unterschied?»
Nach kurzem betretenen Schweigen setzte Alexander erneut an: «Bei einem Mord innerhalb der Garde hat der Gardekommandant – oder sein Stellvertreter – auch ein Wörtchen mitzureden. Musolino wird es nicht wagen, über von Guntens Kopf hinweg zu entscheiden.»
«Oh, Seine Eminenz würde das sehr wohl wagen, braucht es aber nicht. Unser neuer kommissarischer Kommandant –
Musolino hat von Gunten in dieser Stellung bestätigt – hat die Entscheidung Seiner Eminenz befürwortet. Ich kann ganz gut mit Schnyder, der hat es mir brühwarm erzählt.»
Oberleutnant Roland Schnyder war Adjutant in der Gardekommandantur und daher auch über geheime Vorgänge stets gut unterrichtet.
Alexanders Hände gruben sich in die Bettdecke. «Soll das heißen, Musolino hat von Guntens Zustimmung erkauft, indem er ihm die Nachfolge auf den Posten meines Onkels zusicherte?»
Utz verzog keine Miene. «So etwas öffentlich zu behaupten wäre, strafrechtlich gesehen, üble Nachrede oder Verleumdung.
Und dienstlich würde es ein Disziplinarverfahren geben, das sich gewaschen hat.»
«Verstanden», brummte Alexander, als er sich aus dem Bett schwang. «Ich werde mich diplomatisch verhalten.»
«Wobei?»
«Bei meiner Unterredung mit unserem neuen Kommandanten.»
«Der Arzt hat dir strikte Bettruhe verordnet!»
«Hilf mir beim Anziehen!»
Alexander erstarrte, als er das Büro des Gardekommandanten betrat. Heinrich Rosin war noch keine vierundzwanzig Stunden tot, und Anton von Gunten saß so selbstverständlich in dem schwarzen Lederstuhl hinter dem Schreibtisch, als nehme er diesen Platz seit Jahrzehnten ein.
Dieser Anblick ärgerte Alexander viel mehr, als er ihn verwunderte. Es war ein offenes Geheimnis, dass von Gunten sich selbst als den besseren Kommandanten betrachtete.
Nach alter Tradition kamen die Gardekommandanten aus dem Schweizer Adel, dem von Gunten angehörte. In jüngster Zeit hatte es Ausnahmen von dieser ungeschriebenen Regel gegeben, so auch Markus und Heinrich Rosin. Traditionsbewusste Kleriker und Angehörige des Schweizer Adels hatten das noch nie gern gesehen und würden hocherfreut sein, wenn Anton von Gunten offiziell zum neuen Kommandanten ernannt wurde.
Der Raum erinnerte an ein Heimatmuseum. Dicht an dicht hingen an den Wänden die Porträts der Gardekommandanten, angefangen beim ersten, Kaspar von Silenen, der die Garde von 1506 bis 1517 befehligt hatte, und seinem Nachfolger Markus Röist, der, um sein Amt als Bürgermeister von Zürich zu behalten, seinen Sohn Kaspar – das dritte Bild – als Stellvertreter nach Rom gesandt hatte. Das letzte, geradezu fotorealistische Gemälde zeigte Markus Rosin. Bald würde ein Bildnis Heinrich Rosins hinzukommen.
Alexander kannte die Gesichter, ohne den jeweiligen Namen darunter zu lesen. Von Silenen, von Meggen, Segesser von Brunegg, Pfyffer von Altishofen, Meyer von Schauensee; Schweizer Adelsfamilien, die mehr als einen Kommandanten gestellt hatten. Brannte von Gunten darauf, eine neue Dynastie zu begründen?
«Setzen Sie sich, Alexander, nur keine Förmlichkeiten.» Der Oberstleutnant wies auf den Besucherstuhl. Mit einem verkniffenen Lächeln sagte er: «Ich weiß nicht, ob ich Sie tadeln soll, weil Sie entgegen ärztlichem Rat schon wieder herumlaufen, oder ob Sie Lob verdienen, weil Ihr Diensteifer größer ist als Ihre Schmerzen. Wollen Sie mir berichten, was in der Waffenkammer geschehen ist?»
Alexander wiederholte, was er schon Utz Rasser erzählt hatte.
«Ein sehr bedenklicher Vorfall», seufzte von Gunten. «Umso besorgniserregender, als er zeitlich mit diesem schrecklichen Doppelmord zusammenfällt.»
«Wohl nicht nur zeitlich», wandte Alexander ein und beugte sich vor. «Wichtiger erscheint mir der inhaltliche Zusammenhang.»
«Und der wäre?», fragte der Oberstleutnant im Tonfall unschuldiger Neugier.
«Mit allem Respekt, aber das liegt doch auf der Hand.»
«Sie meinen das verschwundene Waffenbuch?»
«Genau.»
Von Gunten zuckte mit den Schultern. «Danegger kann es kaum genommen haben.»
«Nein. Er war es ja auch nicht, der mich da überwältigt
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