Der Engelspapst
allein war. Utz Rasser saß in Alltagsuniform an dem kleinen Tisch, auf dem sein Barett lag, und blätterte in der vorletzten Ausgabe von Facts; Alexander hatte das heimatliche Magazin abonniert. Besorgt blickte er Alexander an. «Mann, das Pflaster ist ja fast größer als dein Kopf. Wer immer das Schwein war, er hat dir gehörig was verpasst.»
« Die Schweine», sagte Alexander, nachdem er seine Erinnerungen zusammengekramt hatte. Vorsichtig befühlte er seinen Hinterkopf und ertastete das mächtige Pflaster.
«Natürlich mehrere, hätte ich mir denken können. Von einem allein lässt sich ein Alexander Rosin nicht unterkriegen.» Utz ließ das Magazin auf die zerkratzte Tischplatte sinken und grinste ihn an. «Schmerzen?»
«Nein, nicht richtig, nur so ein dumpfes Drücken.»
«Der Arzt hat dir was gegen die Schmerzen gegeben. Die Tabletten liegen hier auf dem Tisch, falls es schlimmer werden sollte. Er kommt am späten Nachmittag noch mal vorbei, um nach dir zu sehen.»
«Weshalb?»
«Na, weshalb wohl, King Kong? Du könntest dir zum Beispiel eine nette kleine Gehirnerschütterung eingehandelt haben. Was ist überhaupt passiert?»
Als Alexander seinen Bericht beendet hatte, stieß Utz einen beichtwürdigen Fluch aus. «Mist auch, dass ich zu spät gekommen bin!»
«Keine Rätsel jetzt, Utz.»
«Als mein Wachdienst zu Ende war, bin ich noch mal runter zur Waffenkammer. Ich hatte keine Ruhe wegen … wegen …»
«Wegen der Morde.»
«Ja. Als ich die offene Tür sah, war mir gleich ganz anders.
Ich bin zum FvD gelaufen und habe Verstärkung geholt. Du hast neben dem Scheitstock gelegen, bewusstlos und mit einer blutigen Wunde am Hinterkopf. Im ersten Moment dachte ich, es hätte noch einen Toten gegeben!»
«Haben die beiden Typen etwas mitgehen lassen?»
Utz legte den rechten Ellbogen auf die Tischplatte und stützte das Kinn auf die Hand. «Das kann man wohl sagen. Das Ausgabebuch für die Handfeuerwaffen fehlt.»
«Dann lässt sich nicht mehr feststellen, ob es Unregelmäßigkeiten bei der Aus- und Rückgabe der SIGs gegeben hat!»
«Du sagst es, weiser Fürst», seufzte Utz und fügte seinem Beichtregister einen weiteren unflätigen Fluch hinzu. «Jetzt bleibt alles an mir hängen. Ich kann nicht beweisen, dass ich korrekt gehandelt habe.»
«Ich bin mir sicher, dass du dir nichts hast zuschulden kommen lassen. Aber warum stiehlt jemand dieses Buch?»
«Vielleicht, um den Verdacht auf mich zu lenken.»
«Oder um jemand anderen aus der Schusslinie zu bringen.
Was ist mit deinem Stellvertreter in der Waffenkammer?»
«Marc Tanner?» Utz schüttelte den Kopf. «Immerhin ist er wegen seiner Vertrauenswürdigkeit für den Posten ausgewählt worden.»
«Aber er ist ein Welschschweizer. Wie Danegger. Beide stammen aus dem Unterwallis, wenn ich mich recht erinnere.
Sie haben sich gut verstanden.»
«Selbst wenn sie befreundet waren – das spricht noch nicht automatisch für eine Komplizenschaft.»
«Vielleicht hat Tanner seinem Freund einen Gefallen getan, ohne zu ahnen, was der vorhatte?»
«Dann müsste er reichlich blöd sein. Eine SIG mit vollem Magazin rückt man doch nicht raus, ohne den Zweck zu kennen!»
Die Unterhaltung bereitete Alexander mehr Kopfzerbrechen als seine Wunde, die nur ein sanftes, regelmäßiges Pochen aussandte.
«Hoffen wir, dass die Untersuchung die Wahrheit ans Licht bringt», seufzte er.
«Was für eine Untersuchung?»
«Blöde Frage, Utz, die Morduntersuchung natürlich.»
«Sie wird noch heute offiziell abgeschlossen. Wetter-Dietz hat für heute Nachmittag eine Pressekonferenz angekündigt. Die großen Fernsehsender und die lokalen Infostationen werden zur Live-Übertragung anrücken. Das ist doch mal was anderes als die ewig gleichen Paraden und Kundgebungen zum Tag der Arbeit. Die könnten sie auch aus der Konserve zeigen.»
Monsignore Wetter-Dietz war der Pressesprecher des Vatikans, ein Deutscher, und entsprechend hölzern fielen seine Presseerklärungen aus. Angeblich hatte ihm der Ruf, ein absolutes Sprachgenie zu sein, zu der Stellung verholfen. Aber was nützte es, zehn oder zwölf Sprachen zu beherrschen, wenn die darin übermittelte Botschaft trocken war wie eine Hostie?
Nur beiläufig wurde Alexander bewusst, dass heute der 1. Mai war. Was Utz über den Abschluss der Morduntersuchung gesagt hatte, brachte ihn aus der Fassung.
«Man kann so eine Sache nicht an einem Tag abschließen!»
«Der Vatikan kann. Die umstrittenen Äußerungen des
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