Der Engelspapst
Tür aus massivem Holz stehen und klopfte laut an. Ein kurzes
«Herein» von jenseits der Tür, Shafqat öffnete, ließ Alexander eintreten und schloss die Tür von außen.
Der quadratische Raum war das private Arbeitszimmer des Papstes und zugleich seine private Bibliothek. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit voll gestopften Bücherregalen zugestellt. Es roch angenehm altmodisch nach Papier, Leim und Druckerschwärze. Der Papst stand auf einer kleinen Leiter und blätterte in einem Buch.
Nun stellte er es weg und drehte sich zu seinem Besucher um, zu hastig wohl: Die Leiter geriet ins Wanken und mit ihr der Heilige Vater. In der weißen Soutane sah er mit den Hilfe suchend ausgestreckten Armen aus wie ein riesenhafter weißer Vogel, der panisch mit den Flügeln schlug. Alexander sprang herbei und legte die Hände um die Hüften des Papstes. Der stützte sich auf die breiten Schultern des Gardisten und kletterte herab auf sicheren Boden.
«Es stimmt also», sagte er in seiner Muttersprache.
«Was?», platzte es aus Alexander heraus, bevor ihm einfiel, dass es sich nicht geziemte, mit dem Heiligen Vater ohne Begrüßung und dann noch in derart flapsiger Art zu sprechen.
«Dass die Schweizergarde die Stütze des Heiligen Stuhls ist.
Sie haben es gerade bewiesen, mein Sohn.»
Alexander kniete nieder und küsste den Fischerring des Papstes. Der zog ihn schnell wieder auf die Füße.
«Wenn schon, müsste ich Sie ehren, Adjutant Rosin, nach allem, was Sie letzte Nacht zu erleiden hatten. Nehmen Sie doch Platz.»
Alexander folgte ihm zu zwei schweren braunen Ledersesseln, zwischen denen ein hölzerner Beistelltisch mit einer Cognacflasche und zwei Gläsern stand. Der Papst schenkte ein.
«Oh, ich hoffe, Sie dürfen überhaupt ein Glas trinken. Sie sind ja in Uniform.»
«Ich weiß nicht», erwiderte Alexander verwirrt. «Sie … ich meine, Heiligkeit sind der Oberbefehlshaber.»
Der Papst stieß ein trockenes Lachen aus. «Ich muss mich noch an vieles gewöhnen. Nicht nur, dass ich der Führer der größten Glaubensgemeinschaft auf diesem Planeten bin, nein, auch die kleinste Armee der Welt hört auf mein Wort. Dabei beherrsche ich kein einziges militärisches Kommando. Zum Wohl! Das ist jetzt ein Befehl.»
Sie tranken und es tat Alexander gut. Wärme durchströmte ihn. Eben, als er dem Papst zu Hilfe gesprungen war, hatte sich das wackelige Gefühl in seinen Beinen verstärkt, und ein schmerzhafter Stich war durch seinen Kopf gefahren. Jetzt, in dem bequemen Sessel und mit dem päpstlichen Cognac im Magen, fühlte er sich zwar unwirklich, aber ein wenig wohler.
«Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie Leid mir die schreckliche Geschichte mit Ihrem Onkel und Ihrer Tante tut.» Der Papst sprach weiterhin französisch und schien zu wissen oder zu ahnen, dass der Schweizer diese Sprache besser beherrschte als Italienisch. «In den letzten Tagen hatte ich intensive Gespräche mit Oberst Rosin, und wir sind uns dabei sehr nahe gekommen.
Es ist schwer, ihn zu verlieren. Für Sie noch viel mehr als für mich.»
Alexander gab ihm Recht, begriff aber noch immer nicht, worauf sein Gastgeber hinauswollte. Einerseits schien ihm der ganze Aufwand mit dem Privatempfang übertrieben, wenn der Heilige Vater ihm nur sein Beileid aussprechen wollte, andererseits lag in den Worten des Papstes mehr. Unterschwellig nahm er es wahr, doch als er es herauszufiltern versuchte, kehrte der stechende Schmerz in seinem Kopf zurück. Es war wie in der Nacht, als ihn der Schlag auf den Hinterkopf traf; als würde sein Schädel gespalten.
Das Glas fiel ihm aus der kraftlosen Hand, der Cognac sickerte in den hellen Teppich. Er streckte die Hand nach dem Glas aus, doch sein Körper bewegte sich wie in Zeitlupe: kriechend langsam und schwerfällig. Wenn sie auch langsam erfolgte, die Bewegung ließ sich nicht mehr aufhalten. Er fiel nach vorn und rutschte aus dem Sessel. Alles um ihn herum verzerrte sich, wuchs und schrumpfte, verlor seine Konturen in einem Ungewissen Wabern, wie eine Wüste unter gnadenloser Sonne.
Und da war der große weiße Vogel, der sich über ihn beugte.
Alexander fühlte, wie die Hände des Heiligen Vaters sanft über seinen Kopf strichen. Langsam und feinfühlig glitten die Finger über seine Haut, als folgten sie geheimen, nur dem Papst sichtbaren Spuren.
Der Schmerz ließ nach, machte einer Wärme Platz, wie sie zuvor mit dem Cognac durch seinen Körper geflossen war. Nur war diese Wärme intensiver
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