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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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und allgegenwärtig. Er fühlte sich von ihr umhüllt wie von einer riesigen Decke aus Liebe und Geborgenheit. Das Gefühl des Aufgehobenseins und Geliebtwerdens verdrängte Schmerz und Trauer. Er schloss die Augen und wünschte, dieses Gefühl möge ewig anhalten. Alle schlechten Gedanken und Empfindungen verblassten in Bedeutungslosigkeit. Nie zuvor hatte er gespürt, dass Liebe und Zuversicht so viel mehr bedeuteten als Wut, Furcht und Zweifel.
    Als er die Augen öffnete, lag er noch immer auf dem Boden, und sein Kopf war in den Schoß des Papstes gebettet, der ihn mit einem besorgten Lächeln ansah.
    «Geht’s wieder besser, Alexander? Ich glaube, Sie haben sich doch ein wenig zu viel zugetraut, als Sie aus dem Bett gestiegen sind.»
    «Ja … es tut mir Leid … Heiligkeit …»
    Peinlich berührt von der Vorstellung, die er dem Papst geboten hatte, schickte er sich an aufzustehen. Custos stützte ihn.
    Alexander hob sein Barett vom Boden auf, setzte es auf und sagte: «Ich glaube, ich muss Ihnen danken, Heiliger Vater. Sie haben mir die Schmerzen genommen, nicht wahr?»
    Das Lächeln des Papstes wirkte entschuldigend wie das eines Jungen, den man bei einem Streich ertappt hat. «Ein Familienerbe, verstehen Sie?»

    «Nein», antwortete Alexander und glaubte, in den Augen des Heiligen Vaters einen Anflug von Enttäuschung zu bemerken.
    «In Ihnen kämpfen viele widerstreitende Gefühle», fuhr der Papst fort. «Sie empfinden große Wut auf andere und auf sich selbst. Hängt das mit den schrecklichen Morden zusammen?»
    «Ja, Eure Heiligkeit.»
    «Aber warum hegen Sie solche Wut gegen sich selbst?
    Glauben Sie denn, Sie hätten die Tat verhindern müssen?»
    «Nein. Wie hätte ich das können? Ich wusste nicht, was Danegger vorhatte.»
    «Ja, natürlich. Ich will jetzt nicht weiter in Sie dringen, Alexander, wenn Sie etwas bedrückt, können Sie jederzeit zu mir kommen, ist ein ernst gemeintes Angebot.»
    «Danke, Heiliger Vater.»
    Der Papst legte den Zeigefinger der rechten Hand vor seine Lippen. «Sagen Sie um Himmels willen nicht weiter, was ich eben getan habe, Alexander. Ich will nicht, dass die Christenheit mich mit der heiligen Jungfrau von Lourdes verwechselt. Und was die Presse erst daraus machen würde. Der Rasputin vom Vatikan. Nein, wirklich, Sie müssen mir versprechen zu schweigen!»
    Custos hielt ihm die schmale Hand entgegen. Als Alexander sie ergriff und drückte, fühlte er sich wie ein Schüler, der mit einem Kameraden einen kindischen Pakt schließt. Aber in den Augen des Papstes lag tiefer Ernst.
    Der Heilige Vater geleitete ihn zur Tür, und auch beim Gehen spürte Alexander nicht mehr die geringsten Beschwerden.
    Shafqat eilte herbei und Custos kehrte in seine Bibliothek zurück. Von Gunten hockte mit unmilitärischer Lässigkeit in seinem Korbsessel und blätterte gelangweilt in einer Zeitschrift.
    Sein Blick war alles andere als wohlwollend. Im Lift fragte er:
    «Mein Gott, Alexander, was haben Sie so lange getrieben? Sie waren über eine Stunde bei ihm.» Erstaunt blickte Alexander auf die Uhr. Von Gunten hatte Recht; er musste längere Zeit weggetreten gewesen sein.
    Der Vorgesetzte wiederholte die Frage.
    «Ich darf nicht sagen, was so lange gedauert hat.»
    «Wieso nicht? Ich bin Ihr Kommandant!»
    «Und Seine Heiligkeit ist mein oberster Dienstherr. Ich musste dem Heiligen Vater Stillschweigen versprechen.»
    Von Gunten maß ihn mit einem undefinierbaren Blick. Zum ersten Mal schien er so etwas wie Respekt vor Alexander zu verspüren. Furcht konnte es kaum sein.
    «Legen Sie sich hin und ruhen Sie sich aus», sagte der Oberstleutnant, als die Liftkabine mit leichtem Ruckeln im Erdgeschoss hielt.
    «Den Befehl habe ich schon erhalten.»
    Alexander legte sich befehlsgemäß ins Bett, aber er schlief nicht. Unaufhörlich dachte er an die Begegnung mit dem Heiligen Vater. Eine eigenartige Aura umgab diesen Mann. Er hatte so gar nichts Vergeistigtes, wie man es vom abgeklärten Oberhirten der Christenheit erwartete. Vielmehr hatte er Alexander behandelt wie seinesgleichen.
    Und dann seine seltsamen Fähigkeiten. Natürlich hatte Alexander von Menschen gehört, die über heilende Kräfte verfügten. Was davon Schwindel und Wahrheit war, hatte ihn nie sonderlich interessiert. Aber der Papst hatte ihm nicht nur den Schmerz genommen, er hatte auch in seiner Seele gelesen, und das erschütterte Alexander. Der Heilige Vater mochte sein oberster Dienstherr und sein geistiger Hirte sein, aber

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