Der Engelspapst
selbst ihm mochte er nicht mitteilen, was ihn seit letzter Nacht bedrückte.
Er konnte es niemandem sagen, solange er sich nicht über seine Gefühle im Klaren war.
Seine Gedanken kreisten weiter um den Papst und um die Frage, über welche Kräfte Custos gebot. Die Antwort lieferte vielleicht der Arzt, der am Nachmittag kam und keine Verletzungen mehr feststellen konnte.
«Weder innerlich noch äußerlich. Auch die große Kopfwunde ist vollkommen verheilt. Das ist wie ein Wunder!», stellte der Arzt kopfschüttelnd fest.
Da Alexander dienstfrei war, blieb er in seinem Zimmer und schaltete den Fernseher ein. Gerade noch rechtzeitig, um die Presseerklärung des Vatikansprechers mitzubekommen. Zur Einstimmung lief ein Bericht über die nächtliche Bluttat, wahrscheinlich zum hundertsten Mal an diesem Tag. Fotos zeigten die drei Toten zu Lebzeiten. Von Heinrich Rosin und Danegger wurden zudem Filmaufnahmen anlässlich einer Parade der Schweizergarde eingeblendet. Alexander sah sich an Daneggers Seite stehen. Der Anblick versetzte ihm einen Stich.
Ein Schnitt auf eine nicht mehr ganz junge, stark geschminkte Moderatorin im grellgrünen Kostüm: «Der Vatikan hat als autonomer Staat auch das Recht, die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten auf seinem Hoheitsgebiet unabhängig von der italienischen Justiz durchzuführen. Im Fall des ermordeten Gardekommandanten hat man auf Amtshilfe seitens der italienischen Behörden verzichtet und die Angelegenheit ungewöhnlich schnell zum Abschluss gebracht. Der Vatikansprecher, Monsignore Wetter-Dietz, wird uns jetzt erklären, warum.»
Der Konferenzraum im Pressesaal des Heiligen Stuhls kam ins Bild. Alle beim Heiligen Stuhl akkreditierten Journalisten – es waren etwa vierhundert –, die so genannten Vatikanisten, schienen zusammengekommen zu sein und drängten sich Schulter an Schulter. Der Saal für die Pressekonferenzen war nur mit zweihundert Sitzplätzen ausgestattet. Er und der gesamte Pressesaal lagen nicht im Vatikan, sondern kurz vor dem Petersplatz in der Via della Conciliazione. Offiziell aus Platzgründen, aber wohl auch, weil die Kurie Horden von herumschnüffelnden Journalisten im Herzen der Christenheit vermeiden wollte.
Monsignore Wetter-Dietz trat ein, ein knochiger Mann in dunklem Anzug. Der Römerkragen verriet die Zugehörigkeit zum geistlichen Stand. Die Journalisten verstummten, als er unter dem Wappen des Vatikanstaats Platz nahm. Es zeigte die Tiara, die dreifache Papstkrone, mit den beiden hinten herabhängenden Streifen und darunter die gekreuzten, durch eine Kordel verbundenen Schlüssel. Die Tiara, früher die Krönungskrone der Päpste, war das Symbol der dreifachen Macht des Papstes als Vater der Fürsten und der Könige, als Rektor der Welt und als Stellvertreter Christi auf Erden. Der zweifache Schlüssel verkörperte die Vollmacht Jesu für den Apostel Petrus und seine päpstlichen Nachfolger, zu binden und zu lösen. Auf die in Matthäus 16.19 beschriebene Szene gründete sich das gesamte Papsttum.
Während die Kameras surrten und die Blitzlichter noch zuckten, begann Wetter-Dietz in ebenso akzentfreiem wie monotonem Italienisch, die Geschehnisse zusammenzufassen. In trockenen Worten gab er die wesentlichen Fakten wieder, bemüht, sich jeder Spekulation und jeder auch nur ansatzweise blumigen Schilderung zu enthalten.
«So tragisch dies alles auch ist, so wenig geheimnisvoll ist es zugleich. Mit der Abneigung, die Marcel Danegger aufgrund der dienstlichen Differenzen gegen seinen Kommandanten verspürte, ist seine Handlung als Überreaktion eines nervlich überlasteten jungen Mannes hinreichend motiviert. Da die kriminaltechnische Untersuchung keine weiter gehenden Anhaltspunkte zutage gefördert hat, ist der Untersuchungsrichter des Vatikans zu der Entscheidung gelangt, das Verfahren abzuschließen.»
Ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Die Journalisten mussten erst begreifen, dass es das schon gewesen war. Dann brach ein Wortgewitter los, das Wetter-Dietz mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen ließ. Schließlich beruhigten sich die Journalisten und einzelne Fragesteller kamen zu Wort.
Ob es keine politische Motivation für das Attentat gebe? Nein, sagte der Vatikansprecher, eine solche sei nicht ersichtlich.
Oder ob Sex im Spiel gewesen sei? Ob mit dem Mord vielleicht etwas vertuscht werden sollte? Warum das Verfahren so ungewöhnlich schnell abgeschlossen werde?
Wetter-Dietz schmetterte alle Versuche, die Angelegenheit
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