Der Engelspapst
Besitz der Wahren Ähnlichkeit Christi für ihn nur einen Teilsieg bedeutet. Zwar hätten die möglichen Vorgehensweisen zu meiner Entmachtung, die er Ihnen skizziert hat, sicher Aussicht auf Erfolg, aber noch verlockender dürfte es für ihn sein, mich mitsamt dem Smaragd in die Hand zu bekommen. Er ist ein alter Soldat und schätzt es, dem Feind ins Auge zu blicken. So hat er sich ausgedrückt, als ich ihm vorschlug, ihm den Smaragd persönlich zu übergeben.»
«Sie … haben selbst mit ihm gesprochen, Heiligkeit?», fragte Alexander verblüfft. «Wie?»
Der Papst lächelte. «Auch auf Brecqhou gibt es Telefon. Die Nummer erhält man allerdings nicht bei der Auskunft.»
Die aufgeräumte Art des Heiligen Vaters setzte Alexander in Erstaunen. Man merkte nichts mehr davon, dass der Papst noch vor einer Woche mit dem Tod gerungen hatte. Er schien vollkommen wiederhergestellt, und Alexander bezweifelte nicht, dass es so war. Ob wissenschaftlich erklärbare Spontanremission oder ein göttliches Wunder, ihm war es gleich. Er war einfach froh, dass Ovasius Shafqat und die anderen ihr Leben nicht vergebens geopfert hatten. Denn hier, wo er die warmherzige Ausstrahlung Seiner Heiligkeit spürte, war er ganz sicher, nicht dem Antichrist gegenüberzusitzen, sondern dem Mann, der das Christentum auf den rechten Weg zurückführen wollte – dem Engelspapst.
Erstaunlich war aber auch, dass der Papst mit dem bevorstehenden Unternehmen sein Leben aufs Spiel setzte und damit die Verwirklichung des selbst gesteckten Ziels. Zwar gab es andere Auserwählte, doch war fraglich, ob jemals wieder einer von ihnen den Heiligen Stuhl einnehmen würde. Totus Tuus und der Zirkel der Zwölf würden alles tun, um das zu verhindern. Und gerade deshalb bot Custos sich selbst als Lockvogel an. Er war ein Köder, nach dem Markus Rosin mit Sicherheit schnappen würde.
Alexander merkte, dass die Augen des Papstes auf ihm ruhten.
Es war ein eigenartiger Blick, der sich nicht auf sein Äußeres richtete, sondern tief in seine Seele drang. Doch das war ihm nicht unangenehm. Im Gegenteil, in Custos’ Gesicht standen Verständnis und Anteilnahme geschrieben.
«Sie müssen sich nicht fürchten, Alexander, nicht um meinetwillen. Der Herr hat schon einmal seine schützende Hand über mich gehalten. Wäre er gegen mich, hätte er meiner Mission längst ein Ende gesetzt.»
Zweifelnd sah Alexander den Papst an. «Es gibt so viele Unwägbarkeiten in diesem Plan. Ich frage mich, ob ich den Smaragd nicht doch nach Brecqhou hätte bringen sollen. Dann wären wenigstens Sie nicht in Gefahr geraten, Heiligkeit.»
«Dann wäre ich in eine viel größere Gefahr geraten», erwiderte Custos kopfschüttelnd. «Eine Gefahr, die vielleicht nicht mein Leben bedroht hätte, dafür aber den Fortbestand der Christenheit.»
«Glaubt man Markus Rosin, dann ist die Christenheit gerade durch Ihr Pontifikat bedroht», seufzte Alexander und sah den Papst erschrocken an, als ihm bewusst wurde, was er gerade gesagt hatte. «Verzeihen Sie, Heiliger Vater! Bitte glauben Sie nicht, ich würde Ihnen misstrauen.»
Der Papst lächelte. «Ich weiß, wie schwer es ist, in diesem Labyrinth aus Lügen, Anschuldigungen und Theorien das Licht der Wahrheit zu erspähen. Markus Rosin mag sogar glauben, was er sagt. Die Auserwählten und ich aber wissen, dass er im Unrecht ist. Warum ist die Kirche denn ein Schiff mit schwankendem Kurs, ein Schiff vor allen Dingen, von dem immer mehr Menschen desertieren? Nur wahrer Glaube kann auf Dauer festigen. Das Netz falscher Dogmen, so fein es auch gesponnen sein mag, wird mit der Zeit brüchig und reißt. Die Kirche hat ihr Netz zweitausend Jahre lang zusammengehalten, aber jetzt lösen die Knoten sich auf. Wir müssen es ganz neu knüpfen, diesmal zum Wohle aller Menschen und nicht nur einiger Herrschender.»
Alexander spürte, wusste, dass Custos die Wahrheit sprach.
Markus Rosin war es beinahe gelungen, ihn zu überreden.
Custos aber musste ihn nicht überreden, er überzeugte ihn. Der Blick des Heiligen Vaters war offen, seine Worte kamen aus dem Herzen. Mit diesen Worten konnte es ihm gelingen, die Christenheit für einen neuen Kurs zu gewinnen.
«Unser Freund sorgt sich nicht nur um Bruder Gardien, sondern auch um Elena Vida», sagte Remigio Solbelli, während er einen winzigen Zigarettenstummel im Aschenbecher zerdrückte. «Und das ehrt ihn. Auch ich mache mir große Sorgen um die junge Frau. Wir können Bruder Gardien schützen,
Weitere Kostenlose Bücher