Der Engelspapst
Angst hatte. Aber vor was oder wem – keine Ahnung. Vielleicht hätte sie es mir am Ponte Sisto gesagt.»
«Was ist mit der Journalistin?»
«Sie steht dem Untersuchungsbericht, den der Vatikan zum Mordfall Rosin/Danegger herausgegeben hat, ebenso skeptisch gegenüber wie ich. Wir wollten uns bei unseren Nachforschungen gegenseitig unterstützen.»
«Nachforschungen?», sagte Donati und betonte jede Silbe.
«Seien Sie bloß vorsichtig und lassen Sie sich den Tod des Mädchens eine Warnung sein! Für Ermittlungen ist die römische Polizei zuständig.»
«Nicht im Vatikan.»
Feldweibel Marc Tanner vom Romandgeschwader war Wachhabender am Sant’Anna-Tor. Dass er Alexander augenblicklich zu Oberstleutnant von Gunten schickte, war nicht verwunderlich. Der Feldweibel konnte gar nicht anders: Erstens hatte Alexander die Ausgangszeit gleich um mehrere Stunden überschritten, zweitens war er in einen Mordfall verwickelt. Alle polizeilichen Vorkommnisse, an denen Schweizergardisten beteiligt waren, wurden dem Gardekommando gemeldet.
Da Alexander unschuldig eingesperrt gewesen war, konnte der Oberstleutnant ihm das Überschreiten der Ausgangszeit nicht vorwerfen. Aber dass er sich mit Daneggers Freundin verabredet hatte, schien von Gunten nicht zu schmecken.
«Der Fall ist abgeschlossen, ganz offiziell!», bellte der kommissarische Gardekommandant. «Das gilt auch für Sie, Adjutant Rosin! Haben Sie verstanden?»
«Der Gardeadjutant Rosin hat Sie verstanden, Herr Oberstleutnant.»
Misstrauisch blickte von Gunten aus seinem Stuhl zu ihm auf.
«Warum drücken Sie sich so gedrechselt aus? Was wollen Sie damit sagen, Rosin?»
«Als Adjutant der Garde betrachte ich den Fall als offiziell abgeschlossen.»
«Ah ja. Und als Privatmann?»
«Bei allem Respekt, Herr Oberstleutnant, aber das geht Sie nichts an.»
Das gefährliche Funkeln in von Guntens Augen verschwand nach wenigen Sekunden, und er sagte nur: «Gehen Sie an Ihren Dienst, Adjutant Rosin.»
Als Alexander das Büro verließ, wusste er, dass er von Gunten provoziert hatte. Und genau das war seine Absicht gewesen.
Nachts träumte Alexander von Elena Vida. Sie war nackt und zog ihn in ihre Arme. Er ließ es willig geschehen, wollte die Wärme und Süße ihres schönen Körpers genießen.
Aber er fröstelte bei der Berührung. Ihre Haut war kalt wie – der Tod. Und tot blickten die Augen der Frau, die auf einem blanken Metalltisch lag. Er schaute in die Augen von Raffaela Sini. Er sah die Würgemale an ihrem Hals und war überrascht, als die Tote die Arme ausstreckte und ihn fest an ihren Leib presste, an kaltes, lebloses Fleisch. Er wollte sich aus dem Griff befreien, doch der Druck wurde immer stärker. Etwas stach in seine Haut wie die Dornen eines Bußgürtels. Er wollte schreien, konnte es aber nicht.
Sein Hals fühlte sich an wie mit einem Seil zugeschnürt.
Als er die Frau wieder ansah, hatte ihr Gesicht sich abermals verändert. Jetzt war es das der Geliebten, die er verloren hatte.
Verloren auf immer und ewig. Denn auch ihre Augen waren tot.
9
Sonntag, 10. Mai
Leise und dumpf war in der Tiefgarage das Glockengeläut aus einer der vielen vatikanischen Kirchen oder Kapellen zu hören.
Alexanders Schritte auf dem Betonbelag hallten laut von den Wänden wider. Es war noch früh am Morgen und die Garage menschenleer. Da es Sonntag war, standen die schweren Maschinen der Bauarbeiter unbenutzt herum. Er sah hinter den Absperrgittern die Gruben, die zur Erweiterung der Garage ausgehoben worden waren. Die Luft hier unten war ein schweres, Übelkeit erregendes Gemisch aus Benzingeruch und aufgewirbeltem Staub.
Wegen der Absperrungen für die Bauarbeiter standen die geparkten Fahrzeuge enger zusammen als gewöhnlich. Auf den meisten lag eine dicke Schmutzschicht. Die Kennzeichen begannen fast alle mit den Buchstaben SCV (Stato della Città del Vaticano, Staat der Vatikanstadt) – wenn es Dienstfahrzeuge des Vatikans waren – oder CV (Città del Vaticano, Vatikanstadt) – wenn es sich um Privatfahrzeuge von Vatikanbürgern handelte. Die spottlustigen Römer hatten sich für das SCV längst eine andere Bedeutung überlegt: se Cristo vedesse, «wenn Christus das sähe». Und in Umdrehung der Buchstaben fügten sie hinzu: vi cacciarebbe subito, «verjagte er euch».
Der dunkelblaue Lancia mit dem Nummernschild CV-154
stand, reichlich verdreckt wie von einer Geländefahrt, eingeklemmt zwischen einer Mercedes-Limousine und einem Betonpfeiler. Der Wagen
Weitere Kostenlose Bücher