Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
Vom Netzwerk:
der Stoßdämpfer, sondern weil er den zweiten Anlass, der ihn neben dem Ausflug in die Albaner Berge zur Via Appia geführt hatte, nicht verpassen wollte.
    Fast wäre er doch an dem verwitterten Torbogen mit den beiden darauf thronenden Tauben vorbeigefahren, von denen eine ihren Kopf verloren hatte. Das ausladende Geäst einer alten Pinie verdeckte das etwas abseits der Straße liegende Tor. Er parkte und ging an der von Efeu umrankten hohen Mauer entlang zurück. Es gab keine Klingel und schon gar keine Sprechanlage. Und kein noch so winziges Schild wies daraufhin, dass hier die Weißen Tauben ihr Refugium hatten. Er war schon einige Male über die Via Appia gefahren, ohne zu wissen, was sich hinter dem Tor verbarg. Erst Commissario Bazzinis Erwähnung der Weißen Tauben hatte ihn darauf gebracht. In der Gardebibliothek hatte er in einem Verzeichnis römischer Orden und Kongregationen genauere Informationen gefunden.
    Das doppelflügelige Gittertor war nicht verschlossen. Er trat hindurch und fragte sich, ob die steinernen Tauben zufällig auf dem gemauerten Bogen hockten. Sie waren weitaus älter als die Kongregation der Weißen Tauben, die fünfzig Jahre zuvor mit der Absicht gegründet worden war, mittellosen Waisenkindern ein Heim und eine christliche Erziehung zu bieten. Die Taube als Zeichen des Heiligen Geistes und des himmlischen Friedens war kein schlechtes Wahrzeichen für einen solchen Zweck.

    Wenn das Tor ursprünglich der Eingang zu einem frühchristlichen Friedhof gewesen war, was Alexander vermutete, standen die Tauben allerdings für die Seelen der Toten, denen man himmlischen Frieden wünschte.
    Starker Baumbewuchs und dichtes Unterholz verwehrten den Blick auf das Waisenheim. Als er undeutlich eine leise Stimme hörte, irgendwo zur Rechten, verließ er den unbefestigten Weg und drang in den Dschungel aus Pflaumenbäumen, Beereneiben und fast hüfthohem Gras ein. Jetzt hörte er es deutlicher: die Stimme eines Mädchens, das ein Lied summte.
    Der Boden unter seinen Füßen gab schneller nach, als Alexander nach einem Halt suchen konnte. Er brach ein und schlug schmerzhaft mit der linken Seite auf. Erdreich und Steine rieselten auf ihn herab.
    Mit dem Handrücken wischte er sich den Schmutz aus den Augen. Er war in ein etwa drei Meter tiefes Loch gefallen. Als er nach oben zu klettern versuchte, gab das Erdreich erneut nach, und er plumpste in die Grube zurück. Wie ein umgestürzter Maikäfer lag er auf dem Rücken und stieß einen lauten Soldatenfluch aus.
    «Haben Sie gerufen, Signore? Wer sind Sie? Was tun Sie hier?»
    Er hörte die Stimme, als er den zweiten Versuch unternahm, nach oben zu kommen. Eine junge Frau stand am Rand der Erdgrube und sah neugierig zu ihm herab. Sie war keinesfalls älter als sechzehn, ihr weites Kleid ebenso hoffnungslos altmodisch wie die Zöpfchenfrisur, die sie ihrem rabenschwarzen Haar angetan hatte. Das hübsche Gesicht war ungeschminkt.
    «Ich bin in dieses Loch gefallen», erklärte Alexander überflüssigerweise, aber irgendetwas musste er schließlich sagen.
    «Man muss vorsichtig sein hier an der Via Appia. Zu beiden Seiten der Straße liegen alte Gräberfelder.»
    «Was Sie nicht sagen, Signorina. Vielleicht könnten Sie mir behilflich sein, hier herauszukommen?»
    «Gern. Aber wie?»
    «Ich klettere rauf und Sie strecken mir die Hand entgegen.
    Keine Angst, Sie müssen mich nicht nach oben ziehen. Ich brauche nur für einen Moment Halt, um über die lockere Erde hier hinauszukommen.»
    Sie schien unsicher. «Sind Sie der neue Gärtner?»
    «Ja», log er, um die Prozedur abzukürzen. «Und es sieht so aus, als gäbe es hier jede Menge Arbeit für mich.»
    «Also gut, warten Sie.»
    Sie kniete sich hin und streckte den rechten Arm in die Grube.
    Alexanders Plan ging auf; wenig später fand er sich neben der jungen Frau im hohen Gras wieder.
    «Danke», keuchte er. «Ich heiße Alexander.»
    «Das ist kein italienischer Name und Sie hören sich nicht an wie ein Italiener.»
    «Das liegt wohl daran, dass ich Schweizer bin.»
    «Aus den Schweizer Alpen?», fragte sie interessiert.
    «Fast. Genau genommen kommt meine Familie aus Zürich.
    Und wie heißen Sie?»
    «Loredana.»
    «Ein ungewöhnlicher Name, aber er gefällt mir.»
    Täuschte er sich, oder errötete sie wirklich bei diesem harmlosen Kompliment? Verlegen strich sie sich eine imaginäre Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei fiel der silberne Anhänger ihrer Halskette aus dem Ausschnitt. Es war ein

Weitere Kostenlose Bücher