Der Engelspapst
hatte Heinrich und Juliette Rosin gehört. Sie hatten Alexander den Schlüssel gegeben und ihm erlaubt, den Wagen zu benutzen. Seit dem Tod der beiden stand das Fahrzeug, scheinbar vergessen, hier unten.
Alexander zog den Autoschlüssel aus einer Tasche seiner Wildlederjacke, öffnete die Hecktür und fand die Rolle Küchenpapier zwischen Starthilfekabel und Abschleppstange.
Unter Zuhilfenahme der Scheibenwaschanlage reinigte er die Scheiben, so gut es eben ging.
Als er einstieg, musste er an Juliette denken, die den Wagen häufig benutzt hatte. Sie war immer montags bis donnerstags zum E.U.R.-Viertel gefahren, wo sie einen gut bezahlten Job bei einem Unternehmen für Software-Entwicklung gehabt hatte. Er meinte, noch einen Hauch ihres Parfüms zu riechen, und schloss die Augen. Für kurze Zeit war Juliette wieder am Leben. Der Traum verflog mit dem blumigen Duft, den er bald nicht mehr wahrnahm, der wohl nichts als Einbildung gewesen war. Er startete den Motor und verließ die Tiefgarage und den Vatikan.
Seit Freitagmorgen hatte er weder von Stelvio Donati noch von Commissario Bazzini oder Elena Vida etwas gehört. Und er war darüber fast froh gewesen. Der Anblick von Raffaela Sinis Leiche war ein Schock, den er noch immer nicht ganz überwunden hatte. Ihr Tod hatte ihn fast härter getroffen als der von Heinrich und Juliette, weil er ahnte, dass sie seinetwegen gestorben war. Die Vermutung, dass jemand Raffaela Sini daran hatte hindern wollen, mit ihm zu sprechen, war alles anderes als abwegig. Er musste das alles überdenken und für sich verarbeiten, ganz allein. Auch Utz Rassers Angebot, über die Sache zu sprechen, hatte er abgelehnt. Er hatte seinen Dienst verrichtet und sich danach sofort in sein Zimmer zurückgezogen.
Aber er hatte keinen Abstand zu den Toten gewonnen. Im Gegenteil, je länger er grübelte, desto drängender wurde sein Wunsch, endlich Licht in die mysteriöse Angelegenheit zu bringen. Und so hatte er sich entschlossen, seinen nächsten freien Tag, diesen Sonntag, für einen Ausflug in die Albaner Berge zu nutzen. Vielleicht brachte Pater Giorgio Borghesi ihn auf eine neue Spur.
Es war noch nicht einmal acht Uhr. Zu der frühen sonntäglichen Stunde waren die Straßen Roms ausnahmsweise frei von Staus. Wieder verbarg die Sonne sich hinter schweren Wolken, so als habe sie sich endgültig von den Menschen abgewandt, aber wenigstens regnete es nicht. Als er an der lang gestreckten Wiese, die vor zweitausend Jahren der berühmte Circus Maximus gewesen war, vor einer roten Ampel wartete, trat ein dunkelhäutiger Mann in schmutzigen Kleidern an den Wagen und hielt seinen Scheibenputzer hoch. Alexander nickte dankbar und bezahlte gut.
Er fuhr durch den Rundbogen der Porta San Sebastiano hinaus auf die Via Appia Antica, die ab Mittag für den Kraftverkehr gesperrt werden würde, damit die Sonntagsausflügler unbehelligt wandern und Rad fahren konnten. Zur Linken huschte die Kirche Domine Quo Vadis an ihm vorbei. An diesem Ort, so wollte es die Legende, war der aus Rom geflohene Petrus dem auferstandenen Messias begegnet und dadurch zur Rückkehr bewegt worden. Alexander dachte an den Roman von Henryk Sienkiewicz und an die Hollywoodversion: Robert Taylor, Deborah Kerr und der wahrhaft göttliche Peter Ustinov in bonbonbunten Kostümen und bombastischen Kulissen. Wagenrennen und Schwerterklirren.
Die alte Königin der Straßen, die das antike Rom mit Capua, Benevent, Torent und Brindisi verbunden hatte, war der geeignete Ort, um die Vergangenheit lebendig werden zu lassen.
Die Steinruinen der Grabmäler, die reiche Römer für ihre Familien und sich selbst hatten errichten lassen, erhoben sich zwischen Pinien und Zypressen zu beiden Seiten der Straße wie eine Prätorianergarde, die über den Schlaf der Toten wachte.
Das Verbot, die Toten innerhalb der Stadtmauern zu beerdigen, hatte das Gebiet rund um die Via Appia zu einer riesigen Ansammlung von Familien- und Gemeinschaftsgräbern, Mausoleen und Katakomben werden lassen, und den heidnischen Leichen waren bald christliche gefolgt.
Plötzlich hüpfte der Lancia auf und nieder, und Alexander wurde kräftig durchgeschüttelt – er fuhr unaufmerksamerweise mit zu hohem Tempo über ein weiteres Relikt der einstigen römischen Weltmacht: ein kurzes Wegstück aus den robusten, aber nicht sonderlich stoßdämpferfreundlichen Basaltplatten, mit denen einst die Straßen gepflastert worden waren. Er drosselte die Geschwindigkeit, nicht nur wegen
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