Der Engelsturm
Sänfte wurde durch die Tür getragen und vor den großen, aufs Meer hinausgehenden Bogenfenstern abgesetzt. Die Diener des Grafen hoben seinen Sessel heraus und stellten ihn vor das Podest mit dem herzoglichen Thron.
Der Graf hustete. Mühsam kam er wieder zu Atem. »Seid gegrüßt, Herzog«, keuchte er, »und auch Ihr, Herzogin Nessalanta – welche Freude, Euch zu sehen. Bitte verzeiht mir, wenn ich ohne Eure Erlaubnis Platz behalte.«
»Selbstverständlich, selbstverständlich«, erwiderte Benigaris heiter. »Und wie geht es Eurem Katarrh, Streáwe? Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere kalte Seeluft gut dafür ist. Ich weiß, wie gut Euer Haus auf dem Sta Mirore geheizt ist.«
»In der Tat, Benigaris, gerade darüber wollte ich mit Euch sprechen«, begann der alte Graf, aber der Herzog unterbrach ihn.
»Eines nach dem andern. Verzeiht meine Ungeduld, aber wie Ihr wisst, befinden wir uns im Krieg. Ich bin ein Mann, der nicht um die Dinge herumredet.«
Streáwe nickte. »Euer Freimut, mein Freund, ist wohlbekannt.«
»Nun, dann zur Sache. Wo bleiben meine Flussschiffe und wo meine perdruinesischen Truppen?« Der Graf hob seine weißen Augenbrauen um ein weniges, aber seine Stimme und sein Verhalten blieben gleichmütig.
»Oh, sie kommen, Hoheit, seid ohne Sorge. Wann hätte Perdruin nicht bezahlt, was sie ihrer älteren Schwester Nabban schuldet?«
»Aber es sind jetzt zwei Monate«, versetzte Benigaris spöttisch. »Streáwe, Streáwe, mein alter Freund … ich könnte fast glauben, Ihr wolltet mich nur vertrösten … mich aus irgendeinem Grund an der Durchführung meiner Pläne hindern.«
Dieses Mal verrieten die Brauen des Grafen keine Überraschung,aber trotzdem veränderte sich sein Gesicht auf seltsame, schwer zu beschreibende Weise. »Ich bin enttäuscht, dass Nabban nach unserer so langen und ehrenhaften Zusammenarbeit Derartiges von Perdruin denken kann.« Er senkte das Haupt. »Allerdings ist es wahr, dass die Schiffe, die Ihr zum Befahren des Flusses haben wollt, auf sich warten lassen – wofür ich Euch demütig um Vergebung bitte. Doch wisst, trotz der zahlreichen Botschaften, die ich nach Hause, nach Ansis Pelippé, geschickt und in denen ich ganz genau beschrieben habe, wessen Ihr bedürft, gibt es dort niemanden, der sich so um die Dinge kümmern kann, wie ich es täte, wenn ich alles selbst in die Hand nähme. Ich möchte nicht schlecht von meinen Dienern sprechen, aber, wie wir Perdruinesen sagen, ›wenn der Kapitän unter Deck sitzt, gibt es viele Orte, an denen man seine Hängematte aufspannen kann‹.« Der Graf hob die langen, knochigen Finger, um etwas von seiner Oberlippe zu wischen. »Ich sollte nach Ansis Pelippé zurückfahren, Benigaris. Sosehr ich Eure Gesellschaft und die Eurer geliebten Mutter vermissen werde«, er lächelte Nessalanta an, »so glaube ich doch zuversichtlich, dass ich Euch die Flussschiffe und die Soldaten im Lauf der nächsten Woche nach meiner Rückkehr zukommen lassen könnte.« Er hustete wieder, ein Krampfanfall, der ihn so schüttelte, dass er erst nach einer Weile wieder zu Atem kam. »Und trotz der Schönheit eures Palastes ist er, wie Ihr selbst sagtet, ein wenig luftiger als mein Haus. Ich fürchte, dass meine Gesundheit sich hier verschlechtert hat.«
»Gewiss, gewiss«, meinte Benigaris, »Ihr werdet wohl recht haben. Auch wir fürchten um Eure Gesundheit, Graf. Sie hat mir in letzter Zeit Anlass zur Sorge gegeben – genau wie die Männer und die Schiffe.« Er hielt inne und musterte Streáwe mit einem selbstzufriedenen Lächeln. »Und darum kann ich auch nicht zulassen, dass Ihr jetzt schon abreist. Eine Seereise in diesem Zustand würde Euren Katarrh zweifellos noch verschlimmern. Und lasst mich grausam offen sein, lieber Graf … natürlich nur, weil Nabban Euch so liebt … würdet Ihr erkranken, so müsste ich nicht nur mir selbst die Schuld daran geben, sondern die Ankunft der Schiffe und Männer würde sich ganz gewiss noch weiter verzögern. Denn wenn Eure Dienerschon jetzt, trotz Eurer sorgfältigen Anweisungen, so unzuverlässig sind, dann werdet Ihr Euch vorstellen können, wie träge sie erst würden, solltet Ihr ernsthaft erkranken. So manche Hängematte würde da ausgespannt werden, dessen bin ich sicher!«
Streáwes Augen wurden schmal. »Ihr meint also, dass es Euch besser dünkt, wenn ich meinen Abschied von Euch ein wenig aufschiebe?«
»Oh, lieber Graf, ich bestehe darauf, dass Ihr bei uns bleibt.« Benigaris, der
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