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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Josua. »Vielleicht kann man doch mit ihm reden.«
    »Es wäre auch möglich«, wandte Sludig ein, »dass er versucht, uns so lange hinzuhalten, bis Herzog Benigaris mit Verstärkung bei ihm eintrifft. Wie immer die beiden unsere Stärke zunächst eingeschätzt haben mögen, Herr Camaris hat dafür gesorgt, dass sie jetzt anderer Meinung sind, darauf möchte ich schwören.«
    »Wo ist Camaris?«, fragte Josua.
    »Mit Hotvig und den anderen an der Front.« Sludig schüttelte bewundernd den Kopf. »Barmherziger Ädon, ich kannte die Geschichten über ihn, aber ich habe sie stets für Ammenmärchen gehalten. Prinz Josua, so etwas wie ihn habe ich noch nie gesehen. Vor zwei Tagen waren er und Hotvigs Reiter zwischen zwei Flügeln von Varellans Rittern eingeschlossen. Wir alle waren überzeugt, er wäre so gut wie tot, zumindest aber ein Gefangener. Aber er zersplitterte die Reihen der Nabbanai-Ritter wie Anmachholz. Einen spaltete er mit einem einzigen Hieb fast in zwei Hälften. Schnitt ihn mittendurch, Rüstung und alles! Dieses Schwert muss ein Zauberschwert sein.«
    »Dorn ist eine mächtige Waffe«, antwortete Josua. »Aber mit oder ohne Schwert, einen Ritter wie Camaris hat es nie zuvor gegeben.«
    »Sein Horn Cellian ist der Schrecken der Männer von Nabban geworden«, fuhr Sludig fort. »Wenn es durchs Tal gellt, machen manche schon kehrt und fliehen. Und aus jeder Schar, die Camaris besiegt, nimmt er einen Gefangenen und schickt ihn zurück, damit er seinem Anführer meldet: ›Prinz Josua und die Seinen wünschen eine Unterredung mit Eurem Herrn.‹ Er hat schon so viele von ihnen überwältigt, dass er mittlerweile an die zwei Dutzend Nabbanai-Gefangene zurückgesandt haben muss, alle mit dieser Botschaft.«
    Seriddan hob den Weinbecher. »Ich trinke auf sein Wohl. Doch wenn er jetzt noch so furchtbar ist, wie muss er in der Blüte seiner Jahre gewesen sein? Ich war ein Knabe, als Camaris«, er lachte kurz auf, »beinah hätte ich gesagt, als er starb. Als er verschwand. Ich hatte ihn nie gesehen.«
    »Er war kaum anders«, entgegnete Isgrimnur sinnend. »Das ist es, was mich so überrascht. Sein Körper ist gealtert, aber seine Geschicklichkeit und sein Kampfesmut sind geblieben. Als hätte ihm etwas seine Kräfte bewahrt.«
    »Wie für die letzte Herausforderung«, sagte Josua langsam. »Gott hilf uns, dass er sie besteht.«
    »Aber eins verwirrt mich.« Seriddan nahm einen neuen Schluck. »Ihr habt mir gesagt, dass Camaris den Krieg hasst und alles andere lieber tut, als zu kämpfen. Und doch habe ich nie ein solches Mordwerkzeug wie ihn gesehen.«
    Josuas Lächeln war voller Trauer. »Camaris im Kampf ist wie eine Kammerfrau auf Spinnenjagd.«
    »Was?« Seriddan zog die Brauen zusammen. Macht Ihr Euch über ihn lustig?
    »Wenn Ihr einer Magd befehlt, im Gemach ihrer Herrin die Spinnen zu erschlagen«, erläuterte der Prinz, »fallen ihr hundert Ausreden ein, es nicht zu tun. Doch wenn sie am Ende überzeugt ist, dass sie die Arbeit nicht vermeiden kann, so widerwärtig sie ihr auch ist, so wird sie jede einzelne Spinne mit größter Gründlichkeit töten, schon um sicherzugehen, dass sie nicht noch einmal wiederkommen muss.« Das leichte Lächeln in seinen Mundwinkeln verschwand.»Genauso ist es mit Camaris. Das Einzige, das er mehr hasst als den Krieg, ist ein unnötiger Krieg – vor allem ein Töten, das man vermeiden kann, wenn man gleich anfangs für ein sauberes Ende sorgt. Wenn er also von etwas überzeugt ist, sorgt Camaris dafür, dass er die gleiche Arbeit nicht zweimal verrichten muss.« Er hob das Glas wie zum Gruß für den abwesenden Ritter. »Stellt Euch vor, was für ein Gefühl das sein muss: wenn man gerade das, was man auf der Welt am meisten verabscheut, am besten beherrscht.«
    Danach tranken sie ihren Wein eine Weile schweigend.
     
    Tiamak hinkte hinaus auf die Terrasse. Er fand einen Platz auf der niedrigen Mauer, auf den er sich hinaufziehen konnte, und saß dann dort, ließ die Beine baumeln und badete im Licht der Spätnachmittagssonne. Unter ihm erstreckte sich das Frasilistal, zwei wellige Hänge mit dunkler Erde und graugrünen Baumwipfeln, zwischen denen sich die Anitullanische Straße dahinschlängelte. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte Tiamak die Umrisse von Josuas Zelten erkennen, die sich in die purpurnen Schatten der südwestlichen Bergflanke schmiegten.
    Vielleicht glauben meine Gefährten, wir Wranna lebten wie Wilde, dachte er bei sich, aber ich bin ebenso

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