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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dem schwarzen Rumpf hing, erzitterte die hölzerne Bordwand. Einen Augenblick lang fürchtete Simon, das Boot könnte unter ihm zusammenbrechen, eine Furcht, die durch ein leises Knarren, das durch die unterirdische Kammer tönte, nicht geringer wurde. Simon war ziemlich sicher, dass das Geräusch von dem überlasteten Holz stammte – schließlich lag das Boot des Königs nun schon zwei Jahre in der feuchten Erde –, aber es war schwer, nicht an eine Hand zu denken … eine alte, verdorrte Hand … die sich aus dem dunklen Rumpf emporreckte …
    »Binabik!«
    »Ich bringe sie, Simon. Sie war höher, als ich greifen kann.«
    »Verzeih. Nur schnell, bitte.«
    Das Licht an der Decke des Grabhügels schwankte mit der Bewegung der Flamme. Simon fühlte ein Klopfen am Fuß. So vorsichtig wie möglich, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, schwang er die Beine herum und drehte sich so, dass er der Länge nach mit dem Bauch auf der Bordwand lag und nach unten greifen konnte, um die Fackel aus Binabiks ausgestreckter Hand zu nehmen. Ein weiteres stummes Gebet … mit halbgeschlossenen Augen, aus Angst vor dem, was er vielleicht zu sehen bekommen würde. Dann beugte er sich über die Leere im Inneren des Rumpfes.
    Zuerst konnte er kaum etwas erkennen. Er öffnete die Augen ein Stück weiter. Von der Decke des Hügels waren kleine Steine und Erdklumpen heruntergefallen und hatten viel – aber längst nicht alles – unter sich begraben.
    »Binabik!«, schrie Simon. »Schau!«
    »Was?« Erschrocken eilte der Troll den Rumpf entlang bis zu der Stelle, wo das Boot die Wand des Hügels berührte, und kletterte hinauf, behende wie auf einem Bergpfad des hohen Mintahoq. Federleicht lief er über den Rand der Bordwand und stand neben Simon.
    »Schau.«
    Simon deutete mit zitternder Fackel.
    Im Schoß der Seepfeil lag König Johan Presbyter inmitten seiner Grabgeschenke, noch immer in das prachtvolle Gewand gekleidet, in dem man ihn beigesetzt hatte. Die Stirn des Hochkönigs zierte ein Goldreif. Seine Hände waren über der Brust gefaltet und ruhten auf dem langen, schneeweißen Bart. Die Haut war wächsern und fast durchsichtig, aber anscheinend so fest wie das Fleisch eines lebendigen Menschen. Nach Monaten in der Erde, die sonst alles verfaulen ließ, schien Johan nur zu schlafen.
    Aber so schrecklich und unerwartet der Anblick des unversehrten und unverwesten Königs auch war, der Grund für Simons Aufschrei war ein anderer.
    »Kikkasut!« , fluchte der nicht weniger überraschte Binabik und war gleich darauf in den Rumpf hinuntergeklettert.
    Eine gründliche Durchsuchung des Grabes bestätigte es: Priester Johan lag in seiner Ruhestätte auf dem Swertclif, so wie er gestorben war – doch das Schwert Hellnagel war verschwunden.

11
Herzschläge

    ur weil Varellan mein Bruder ist, heißt das nicht, dass er sich solche Dummheiten erlauben kann!«, fauchte Herzog Benigaris den vor ihm knienden Ritter an und schlug mit der flachen Hand krachend auf die Armlehne des Throns. »Sagt ihm, er soll standhalten, bis ich mit den Eisvögeln eintreffe! Versagt er, hänge ich seinen Kopf an der Sancellanischen Tormauer auf.«
    »O bitte, Herr«, bemerkte sein Rüstmeister, der eifrig um ihn herumwieselte, »ich bitte Euch inständig, bewegt Euch nicht so heftig – ich versuche, Euch das Maß zu nehmen.«
    »Ja, wirklich, sitz doch still«, fügte die Mutter des Herzogs hinzu. Sie saß auf demselben niedrigen, jedoch kunstvoll geschnitzten Sessel, den sie schon innegehabt hatte, als noch ihr Gemahl in Nabban herrschte. »Wenn du dich nicht so gehenließest, würde deine alte Rüstung dir noch passen.«
    Benigaris starrte sie mit vor Wut zuckendem Schnurrbart an. »Vielen Dank, Mutter.«
    »Und sei nicht so grausam zu Varellan. Er ist doch beinah noch ein Kind!«
    »Ein nichtsnutziger, alberner Schwachkopf ist er – und Ihr seid es, die ihn dazu gemacht habt. Und wer war es schließlich, der mich überredet hat, ihn die Truppen am Onestrinischen Pass anführen zu lassen?«
    Die Herzoginwitwe Nessalanta winkte lässig ab. »Gegen einen zusammengewürfelten Haufen wie Josuas Bande könnte jeder diesen Pass halten. Ich selber könnte es tun. Und die Erfahrung wird ihm nützlich sein.«
    Der Herzog riss seinen Arm aus dem Griff des Rüstmeisters undversetzte der Sessellehne erneut einen wuchtigen Hieb. »Beim Baum, Mutter! In weniger als vierzehn Tagen hat er bereits sechs Meilen verschenkt, obwohl ihm mehrere Tausend Fußsoldaten und ein

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