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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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allem ein Schlachtfeld wie dieses.« Seine Hand beschrieb einen Bogen über Berghang und Schnee, aber Isorn wusste sehr gut, dass es weder die Gegend noch das Wetter war, die er meinte.
    Der junge Rimmersmann zuckte die Achseln. »Nun ja, sie ist verrückt. Aber sie scheint sich hier wohler zu fühlen als die Männer.«
    »Sagt das nicht!«, fauchte Eolair. »Sie ist nicht verrückt!« Er holte erregt Atem.
    Isorn betrachtete ihn freundlich. »Wenn es keine Verrücktheit ist, Eolair, was ist es dann? Sie redet, als lebte sie im Land Eurer Götter.«
    »Manchmal frage ich mich, ob sie nicht recht hat.«
    Isorn hob den Arm und ließ die gezackte Schmarre, die vom Handgelenk bis zum Ellenbogen reichte, vom Feuerschein umspielen. »Wenn das der Himmel ist, haben die Priester von Elvritshalla mir jahrelang etwas vorgelogen.« Er grinste. »Aber wenn wir schon tot sind, brauchen wir uns ja auch vor nichts mehr zu fürchten.«
    Eolair schauderte. »Und genau das macht mir Sorgen. Sie glaubt nämlich wirklich, sie sei tot, Isorn. Jeden Augenblick kann sie mitten ins Gefecht hineinlaufen, wie beim ersten Mal, als sie uns ausgerissen ist …«
    Isorn legte ihm die breite Hand auf die Schulter. »In ihrem Wahnsinn scheint mir mehr Verstand zu liegen. Und sie ist zwar vielleicht nicht so verängstigt wie die Männer, aber sie fürchtet sich auch. Sie liebt diese verfluchte, zugige Burg und diese verdammten, schmutzigweißen Ungeheuer genauso wenig wie wir. Bisher ist ihr nichts geschehen, und wir werden darauf achten, dass es so bleibt. Macht Euch nicht mehr Sorgen, als Ihr ohnehin schon habt.«
    Der Graf lächelte matt. »Wie ich sehe, Isorn Isgrimnurssohn, seid Ihr im Begriff, die Stelle Eures Vaters einzunehmen.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Ich habe gesehen, was Euer Vater für Josua tut. Er treibt den Prinzen an, wenn er sich hinlegen will, gibt ihm Rippenstößeund singt ihm Lieder vor, wenn er weinen möchte. Wollt Ihr mein Isgrimnur sein?«
    Der Rimmersmann grinste breit. »Mein Vater und ich sind schlichte Männer. Wir besitzen nicht genug Verstand, um uns so viel Sorgen zu machen wie Ihr und Josua.«
    Eolair schnaubte und griff nach dem Weinschlauch.
     
    Schon die dritte Nacht hintereinander träumte der Graf von ihrem letzten Gefecht innerhalb der Mauern von Naglimund, und sein Albtraum war lebendiger und schrecklicher als ein Gespinst bloßer Einbildungskraft.
    Es war ein besonders furchtbarer Kampf gewesen. Die Hernystiri, die inzwischen mit Fett oder Baumsaft getränkte Stoffmasken trugen, um sich vor dem Staub der Nornen zu schützen, waren längst ein ebenso erschreckender Anblick wie ihre Mitstreiter. Die Menschen, die die ersten Tage der Belagerung überlebt hatten, fochten mit verbissener Entschlossenheit, denn sie wussten, dass sie nur so eine Chance hatten, diesen Ort des Grauens lebendig wieder zu verlassen. Der größte Teil des Gefechts hatte sich in den engen Durchlässen zwischen verkohlten, bröckelnden Häusern und vom Winter zerstörten Gärten abgespielt – dort, wo Eolair einst an warmen Abenden mit den Damen von Josuas Hof spazieren gegangen war.
    Das schrumpfende Heer der Nornen verteidigte die geraubte Feste mit fast selbstzerstörerischer Tollkühnheit. Graf Eolair hatte gesehen, wie einer von ihnen sich gegen ein Schwert drängte, das man ihm in die Brust gestoßen hatte, und sich an der Klinge hinaufschob, bis er den Mann töten konnte, der den Griff festhielt … um dann selbst in einem roten, sprühenden Hustenanfall zu sterben.
    Auch die meisten Riesen waren tot, aber jeder hatte einen furchtbaren Blutzoll gefordert, ehe er fiel. Träumend, sich erinnernd, musste Eolair zusehen, wie eines der gewaltigen Ungetüme Ule Frekkessohn packte, einen der wenigen Rimmersmänner, die sich der Kriegerschar aus Hernysadharc angeschlossen hatten, ihn herumwirbelte und mit dem Kopf gegen eine Wand schmetterte, so mühelos, wie man eine Katze tötet. Als drei Sithi ihn umzingelten, schüttelte ihnen der Hune verächtlich den fast kopflosen Leichnamentgegen und übergoss sie mit Blut. Dann benutzte der haarige Riese Ules Körper als Keule, mit der er einen der Sithi erschlug, bevor die Speere der beiden anderen sein Herz durchbohrten.
    Eolair wand sich im Würgegriff seines Traums und erlebte hilflos mit, wie der tote Ule nach rechts und links geschleudert wurde, bis sein Körper zu platzen begann …
    Zitternd wachte der Graf auf. Sein Kopf tat so weh, als wolle er bersten. Er hob die Hände an die

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