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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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will ich ihre Stelle als Künder der Überlieferungen einnehmen.« Er blickte auf Likimeya. »Sofern das Haus der Tanzenden Jahre zustimmt, natürlich.«
    Likimeya gab ein paar wortlose, melodische Töne von sich und hob dann in knapper Einwilligung die Hand.
    »Jiriki i-Sa’onserei hat Euch etwas über die Straße der Träume erzählt, Graf Eolair?«, fragte Kuroyi.
    »Ja, ein wenig. Außerdem gibt es bei uns Hernystiri noch immer viele Geschichten über die Vergangenheit und Euer Volk. Es leben einige unter uns, die behaupten, auf der Straße der Träume gehen zu können, wie Ihr es unsere Vorfahren gelehrt habt.« Er dachte mürrisch an die Seherin Diawen, die sich zu Maegwins Mentorin aufgeschwungen hatte. Wenn es tatsächlich noch Hernystiri gab, die solche Kräfte besaßen, bedeutete das noch lange nicht, dass sie auch über Verstand und Verantwortungsbewusstsein verfügten.
    »Dann hat er sicher auch die Zeugen erwähnt – jene Dinge, die wir benutzen, um uns den Weg leichter zu machen.« Kuroyi zögerte, griff dann in sein milchweißes Hemd und zog ein rundes, durchscheinendes, gelbes Gebilde hervor, in dem sich das Licht des Feuers brach wie in einer Bernsteinkugel oder einem Ball aus Glas. »Dies ist ein solcher Gegenstand; er gehört mir.« Er ließ Eolair einen Augenblick darauf blicken und steckte die Kugel dann wieder ein. »Wie die meisten seinesgleichen ist er in diesen seltsamen Zeiten keine Hilfe – die Traumstraße ist so unpassierbar wie eine Straße unserer eigenenWelt in einem furchtbaren Schneesturm. Aber es gibt noch andere Zeugen, größere, mächtigere Gegenstände, die sich nicht bewegen lassen und an ihren Standort gebunden sind. Man nennt sie Meisterzeugen, weil man durch sie auf viele Dinge und Orte blicken kann. Einen davon habt Ihr gesehen.«
    »Den Scherben ?«
    Kuroyi nickte. »In Mezutu’a, ja. Es gab noch mehr, obwohl die meisten durch den Lauf der Zeit und Veränderungen in der Erde verlorengegangen sind. Einer liegt unter der Burg Eures Feindes König Elias.«
    »Unter dem Hochhorst?«
    »Ja. Man nennt ihn den Teich der Drei Tiefen. Aber er ist seit Jahrhunderten ausgetrocknet und ohne Stimme.«
    »Und das alles hat etwas mit Naglimund zu tun? Gibt es hier auch solche Zeugen?«
    Kuroyi lächelte, ein schmales, winterliches Lächeln. »Wir wissen es nicht genau.«
    »Das verstehe ich nicht«, antwortete der Graf. »Wieso wisst Ihr es nicht?«
    Der Sitha hob die langfingrige Hand. »Geduld, Graf Eolair. Lasst mich meine Geschichte beenden. Nach den Maßstäben der Gartengeborenen ist sie nur kurz.«
    Eolair rutschte hin und her, froh über das Flackern des Feuers, das sein peinliches Erröten verbarg. Wie kam es nur, dass dieses Volk ihn so leicht einschüchterte wie ein Kind – als hätte er nicht Jahre seines Lebens als Diplomat verbracht.
    »Vergebt.«
    »Es hat in Osten Ard immer bestimmte Orte gegeben«, nahm Kuroyi den Faden seiner Erzählung wieder auf, »die den Eindruck erwecken, es gebe dort einen Meisterzeugen, ohne dass sich dieser Zeuge je gezeigt hätte. Das heißt, es finden sich viele der entsprechenden Erscheinungen – die manchmal sogar stärker sind als bei allen Zeugen, die wir kennen –, aber man kann ihre Quelle nicht ausmachen. Seitdem wir vor langer Zeit in dieses Land kamen, haben wir solche Orte erforscht, weil wir glaubten, sie könnten uns unsere Fragen nach den Zeugen und den Gründen für deren Wirken beantworten,Fragen nach dem Tod und sogar nach dem Nichtsein, das uns zwang, aus unserer Heimat zu fliehen und hierherzukommen.«
    »Entschuldigt, wenn ich Euch nochmals unterbreche«, warf Eolair ein, »aber wie viele von diesen Orten gibt es? Und wo liegen sie?«
    »Wir kennen nur eine Handvoll zwischen dem fernen Nascadu im Süden und dem Ödland im weißen Norden. A-Genay’asu’e nennen wir sie; ›Häuser, die ins Jenseits führen‹ wäre eine ungefähre Übersetzung in Eure Sprache. Und wir Gartengeborenen sind nicht die Einzigen, die die Macht dieser Orte spüren. Oftmals ziehen sie auch Sterbliche an, manche, die nur nach Wissen streben, und andere, die vom Wahn ihrer Götter erfüllt und gefährlich sind. Der Berg in der Nähe von Asu’a, den die Sterblichen Thisterborg nennen, ist ein solcher Ort.«
    »Ich weiß.« Eolair erinnerte sich an einen schwarzen Schlitten und ein Gespann missgestalteter, weißer Ziegen, und sein Magen krampfte sich zusammen. »Auch Eure Vettern, die Nornen, kennen den Thisterborg. Ich habe sie dort

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