Der Engelsturm
uns wieder zu vertreiben. Wir haben Glück. Benigaris, so unüberlegt er auch manchmal handelt, hätte sich nie auf ein derartiges Wagnis eingelassen.«
»Aber warum hat er uns dann überhaupt seinen kleinen Bruder geschickt?«
Josua zuckte die Achseln. »Wer weiß? Vielleicht hat er uns unterschätzt. Außerdem vergesst nicht, dass Benigaris Nabban nicht allein regiert.«
Isgrimnur grunzte. »Der arme Leobardis. Womit hatte er nur eine Frau und einen Sohn wie diese beiden verdient?«
»Noch einmal: wer weiß? Aber vielleicht hat das alles einen Sinn, den wir nicht ahnen können.«
Der Herzog wiegte bedenklich das Haupt.
Der Prinz verfolgte mit kritischem Blick das Auf und Ab derSchlacht, die Augen tief im Schatten des Helms. Er hatte Naidel aus der Scheide gezogen und quer über Sattel und Knie gelegt. »Bald ist es so weit«, sagte er. »Nicht mehr lange.«
»Sie sind immer noch sehr viel mehr als wir, Josua.« Auch Isgrimnur streifte jetzt Kvalnirs Scheide ab. Es war ein Augenblick, der ihm nach all den Jahren noch immer Freude bereitete. Die Klinge hatte ihm in manchem Streit treue Dienste geleistet, und dass er noch immer hier saß und am Leben war, mit schmerzendem Rücken, scheuernder Rüstung, einem Herzen voller Zweifel, war auch ihr zu verdanken.
»Aber wir haben Camaris – und Euch, alter Freund.« Josua grinste. »Mehr können wir nicht verlangen.« Sein Blick hatte den Zugang zum Pass nicht verlassen. »Möge Usires der Erlöser uns behüten.« Feierlich schlug er das Zeichen des Baumes über seiner Brust und reckte dann den Arm in die Höhe. Naidel blitzte im Sonnenlicht, und für einen Augenblick fiel Isgrimnur das Atmen schwer.
»Zu mir, Männer!«, schrie der Prinz.
Über ihm am Hang ertönte ein Hornstoß. Aus der Passenge gellte Cellians Antwort.
Als die Truppen des Prinzen mit den aufständischen Baronen und ihren Männern die Straße hinauf vorrückten, war Isgrimnur voller Bewunderung. Endlich waren sie ein wirkliches Heer geworden, mehrere tausend Köpfe stark. Wenn er daran dachte, wie alles angefangen hatte – mit Josua und ein paar anderen armseligen Überlebenden, durch eine Hintertür aus Naglimund entkommen –, dann fasste er neuen Mut. Gott der Barmherzige konnte sie doch unmöglich so weit gebracht haben, nur um dann alle ihre Hoffnungen zunichte werden zu lassen!
Die Metessaner hatten standgehalten. Josua und sein Heer umgingen und überholten sie. Die Spießkämpfer hatten ihren tödlichen Auftrag erfüllt. Sie zogen sich zurück und trugen ihre Verwundeten die Straße hinunter. Weiter vorn warfen sich die Truppen des Prinzen gegen Varellans Ritter, deren überlegene Zahl und schwere Rüstungen selbst Camaris und seinen Thrithingmännern zu schaffen machten.
Isgrimnur hielt sich zunächst zurück. Er griff helfend ein, wo es ihm möglich war, vermied es jedoch, sich ins Getümmel zu stürzen, wo Schlag auf Schlag die Männer fielen. Er entdeckte einen von Hotvigs Reitern, der vom Pferd gestürzt war und nun, vor seinem verendenden Tier stehend, den Spieß eines Berittenen abwehrte. Isgrimnur ritt auf ihn zu und brüllte eine Herausforderung. Als der Nabbanai-Ritter ihn hörte und sich umdrehte, sprang der Thrithingmann vor und stieß ihm unter dem Arm – dort, wo sein Lederwams nicht mit schützendem Metall verstärkt war – das Schwert in den Leib. Blutend sank der Ritter zusammen. Isgrimnur empfand jähe Wut über dieses unehrenhafte Verhalten seines Verbündeten. Aber als der Gerettete ihm seinen Dank zuschrie und den Hang hinunterlief, zurück ins dickste Gewühl, wusste der Herzog nicht mehr, was er denken sollte. Hätte der Thrithingreiter sterben sollen, um die Lüge aufrechtzuerhalten, ein Krieg könne auch ehrenhaft geführt werden? Aber verdiente ein anderer Mann den Tod, weil er an diese Lüge geglaubt hatte?
Im Lauf des Nachmittags wurde Isgrimnur allmählich immer tiefer in die blutige Auseinandersetzung hineingezogen. Er tötete einen Gegner und schlug mehrere andere mit blutenden Wunden in die Flucht. Er selbst erlitt lediglich unbedeutende Verletzungen, freilich nur, weil er Glück hatte. Einmal war er gestolpert, und der mit beiden Händen geführte, weit ausholende Hieb seines Feindes war an seiner Helmkrone abgeprallt. Wäre er nicht gestürzt, hätte dieser Hieb ihm wahrscheinlich den Kopf vom Rumpf getrennt. Der Herzog kämpfte ohne seine alte Berserkerwut, aber die Furcht weckte eine Stärke in ihm, die er selbst schon vergessen hatte. Es
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