Der Engelsturm
mit furchtbarer, tödlicher Schwere. »So unglaublich falsch. Und tückisch wie die Zeit selbst.«
Unbeholfen richtete er sich auf und stolperte ein paar Schritte die Treppe hinunter, so dicht an Binabik vorbei, dass der Troll ihn hätte anfassen können.
»Geh«, murmelte Hengfisk.
Erschüttert kroch Binabik vor und griff nach seinem Messer. Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren. Hengfisk, die Zähne aufs neue zum Grinsen gefletscht, kam die Stufen wieder hinaufgeschwankt. Der Troll hatte eben noch Zeit, die Arme hochzureißen, bevor der Mönch über ihn herfiel. Hengsfisks stinkende Kutte bedeckte sie beide wie ein Leichentuch. Ein kurzer Kampf, dann war alles still.
Binabik kroch unter dem Körper des Mönchs hervor. Nachdem er ein paarmal durchgeatmet hatte, rollte er den anderen auf den Rücken. Aus dem linken Auge ragte der Griff seines Knochendolchs. Schaudernd zog der Troll ihn heraus und wischte ihn an der schwarzen Kutte ab. Hengfisks letztes Grinsen war auf seinem Gesicht erstarrt.
Binabik holte die noch brennende Fackel und stolperte die Stufen zum Treppenabsatz hinauf. Miriamel war verschwunden und mit ihr die Reisesäcke voller Nahrung, Wasser und anderer wichtiger Dinge.
»Miriamel!«, rief er. Das Echo versank in der Leere neben den Stufen. »Prinzessin!«
Abgesehen vom Leichnam des Mönchs war er allein.
»Er muss den Verstand verloren haben. Seid Ihr sicher, dass er es so haben will?«
»Ja, Prinz Josua, ganz sicher. Ich habe selbst mit ihm gesprochen.«Baron Seriddan ließ sich auf einem Hocker nieder und verscheuchte mit einem Wink seinen Knappen, der ihm den Mantel abnehmen wollte. »Wisst Ihr, wenn es keine Kriegslist ist, könnten wir uns ein besseres Angebot kaum wünschen. Viele Männer werden sterben, falls wir die Mauern der Stadt bezwingen müssen. Aber seltsam ist es trotzdem.«
»Vor allem hätte ich es von Benigaris nicht erwartet«, gab Josua zu. »Und er bestand darauf, dass es Camaris sein müsste? Ist er so lebensmüde?« Baron Seriddan zuckte die Achseln und griff nach dem Becher, den ihm sein Knappe reichte.
Isgrimnur, der wortlos zugehört hatte, brummte. Er verstand, weshalb der Baron und Josua verblüfft waren. Zwar gab es keinen Zweifel, dass Benigaris dabei war, den Krieg zu verlieren. Im letzten Monat hatte das vereinigte Heer Josuas und der Nabbanai-Barone die Truppen des Herzogs so weit zurückgedrängt, dass nur noch die Stadt selbst von Benigaris kontrolliert wurde. Aber Nabban war die größte Stadt in ganz Osten Ard, und ihr Seehafen machte eine Belagerung äußerst schwierig. Einige von Josuas Verbündeten verfügten zwar über eigene Flotten, aber sie genügten nicht, die Stadt abzuschneiden und so lange auszuhungern, bis sie sich ergab. Warum also schlug der regierende Herzog einen so merkwürdigen Handel vor? Andererseits, fand Isgrimnur, stellte sich Josua schon wieder so an, als sollte er selbst gegen Camaris antreten.
Isgrimnur, dessen ganzer Körper immer noch wehtat, versuchte sich bequemer hinzusetzen. »Es klingt verrückt, Josua, aber was haben wir zu verlieren? Es ist Benigaris, der auf unsere Vertragstreue vertraut, nicht umgekehrt.«
»Aber es ist Wahnsinn!«, erklärte Josua bekümmert. »Und alles, was er im Fall eines Sieges haben will, ist freies Geleit für sich, seine Familie und Dienerschaft? Das sind Bedingungen für eine Kapitulation, warum sollte er dafür noch kämpfen? Es ergibt keinen Sinn. Er muss einen Hintergedanken haben.«
Er schien zu hoffen, dass jemand ihm zustimmte. »So einen Zweikampf hat es seit hundert Jahren nicht mehr gegeben!«
Isgrimnur lächelte. »Nur dein eigener, vor wenigen Monaten im Grasland. Jeder kennt die Geschichte, Josua. Sie wird an den Lagerfeuernnoch lange erzählt werden.« Der Prinz erwiderte das Lächeln nicht. »Aber ich habe Fikolmij damals durch eine List dazu gezwungen, und er wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass sein Kämpe verlieren könnte. Doch selbst wenn Benigaris nicht glaubt, dass Camaris wirklich sein Onkel ist, muss er gehört haben, dass ihm kein anderer Krieger gleichkommt. Das alles ist ganz und gar unsinnig!«
Er wandte sich an den alten Ritter, der still wie ein Steinbild in der Ecke gesessen hatte. »Was meint Ihr, Herr Camaris?«
Camaris spreizte die breiten Handflächen. »Es muss ein Ende haben. Wenn wir es auf diese Art erreichen, werde ich meine Rolle spielen. Und Baron Seriddan hat recht: Wir wären Narren, wenn wir aus Misstrauen auf diese
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