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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sich abschälen wollte. Jeder Tag brachte neue, eintönig zermürbende Knochenarbeit mit sich, erträglich nur durch den Mann, der mit der Wasserkelle herumging. Zwischen den einzelnen Schlucken schienen Ewigkeiten zu liegen.
    Simons einziges Glück war, dass er sich mit Stanhelm angefreundet hatte, der sich allein unter den Unseligen, die in der Schmiede schufteten, seine Menschlichkeit weitgehend bewahrt zu haben schien. Stanhelm zeigte dem neuen Gefangenen die Stellen mit kühlerer Luft, an denen man einen Augenblick verschnaufen konnte, erklärte ihm, welchen von Inchs Speichelleckern er am sorgfältigstenaus dem Weg gehen musste, und lehrte ihn vor allem, wie er sich zu benehmen hatte, damit es aussah, als gehöre er wirklich hierher. Der Ältere wusste zwar nicht, dass Simon einen ganz besonderen Grund hatte, namenlos und unbemerkt zu bleiben, aber er war der vernünftigen Ansicht, dass man es überhaupt am besten vermied, Inchs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Darum brachte er dem Neuen bei, was von allen Knechten erwartet wurde – hauptsächlich das unterwürfige Ducken. Simon lernte, die Augen gesenkt zu halten und flink und hart zu arbeiten, wenn Inch sich in seiner Nähe aufhielt. Außerdem wickelte er sich einen Lappen um den Finger, damit man den goldenen Ring nicht sah. Zwar wollte er den kostbaren Gegenstand unter keinen Umständen aus den Augen lassen, aber er wusste, dass es ein großer Fehler sein würde, wenn andere ihn bemerkten.
    Stanhelms Arbeit bestand darin, Metallreste für die Schmelztiegel zu sortieren. Er nahm Simon mit und zeigte seinem neuen Lehrling, wie man Kupfer von Bronze und Zinn von Blei unterschied, indem man mit dem Metallstück auf Steine klopfte oder mit einer gezackten Eisenstange die Oberfläche aufrauhte.
    Dabei ging eine wunderliche Mischung von Gegenstände durch ihre Hände – Ketten, Töpfe, zerquetschte Metallplatten, deren ursprünglicher Zweck rätselhaft blieb, Wagenradbeschläge, Fassbänder, Säcke mit verbogenen Nägeln, Schürhaken und Türangeln. Einmal hob Simon ein zierlich geschmiedetes Flaschengestell auf und erkannte es wieder. Es hatte in Doktor Morgenes’ Wohnung an der Wand gehangen. Aber während er noch darauf starrte, in die Erinnerung an glücklichere Zeiten versunken, gab Stanhelm ihm einen warnenden Stoß: Inch kam auf sie zu. Hastig warf Simon das Gestell auf den Haufen.
    Die sortierten Metallabfälle wurden zu der Reihe von Schmelztiegeln geschleppt, die im Schmiedefeuer hingen, einer lodernden Flamme von der Größe eines Hauses, genährt von einem scheinbar unerschöpflichen Kohlevorrat und angefacht von Blasebälgen, die ihrerseits durch die Bewegung des riesigen Wasserrades der Schmiede aufgepumpt wurden. Das Rad war von dreifacher Mannshöhe und drehte sich Tag und Nacht ohne Unterlass. Angefächeltvon den Blasebälgen brannte das Schmiedefeuer mit unfasslicher Wildheit; es kam Simon wie ein Wunder vor, dass die Steine der Höhle noch nicht geschmolzen waren. Die Schmelztiegel, von denen jeder eine andere Sorte Metall enthielt, wurden von einer Anzahl rußgeschwärzter Ketten und Flaschenzüge bewegt, die ebenfalls mit dem Rad verbunden waren. Wieder andere Ketten – so viel größer und dicker als die Glieder, die die Schmelztiegel antrieben, dass sie den Eindruck von riesenhaften Fesseln machten – führten von der Nabe des Rades nach oben und verschwanden in einer dunklen Spalte der Höhlendecke. Nicht einmal Stanhelm wollte darüber reden, wo sie endeten, aber Simon entnahm aus Andeutungen, dass es etwas mit Pryrates zu tun hatte.
    In heimlichen Momenten zeigte Stanhelm Simon das ganze Verfahren, wie der Metallschrott zu einer glühenden Flüssigkeit eingeschmolzen, dann aus den Tiegeln gekippt und zu sogenannten Masseln geformt wurde, langen, röhrenförmigen Rohmetallklumpen, die nach dem Erkalten von schwitzenden Männern in einen anderen Bereich der gewaltigen Höhle befördert wurden. Dort würde man sie zu dem verarbeiten, was Inch für seinen König herstellte – was immer das war. Simon vermutete, dass es sich um Rüstungen und Waffen handelte, denn unter den großen Mengen von Schrott hatte er so gut wie nie Kriegsgerät gefunden, das nicht irreparabel beschädigt war. Es leuchtete ihm ein, dass Elias jedes unnötige Stück Metall in Pfeilspitzen und Schwertklingen verwandelt sehen wollte.
    Im Lauf der Zeit wurde Simon immer klarer, dass es kaum eine Aussicht gab, aus der Schmiede zu entkommen. Von Stanhelm wusste er,

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