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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dass im Lauf des letzten Jahres nur wenige Gefangene geflohen waren und man alle bis auf einen ganz schnell zurückgeschleift hatte. Keiner hatte danach noch lange gelebt.
    Und der eine, dem die Flucht gelungen ist, war Jeremias, dachte Simon. Er hat es nur geschafft, weil Inch so dumm war, ihn mit einem Auftrag nach oben zu schicken. Diese Möglichkeit wird sich mir wohl kaum bieten. Das Gefühl, in der Falle zu sitzen, war so stark, der Drang zur Flucht so mächtig, dass Simon es manchmal fast nicht aushalten konnte. Er war besessen von dem Gedanken, sich von den riesigen Kettendes Wasserrades in die Dunkelheit hinauftragen zu lassen, ganz gleich, was ihn dort erwartete. Er träumte davon, einen Tunnel zu entdecken, der aus der großen Höhle hinausführte, wie damals bei seiner ersten Flucht aus dem Hochhorst. Aber diese Tunnel hatte man inzwischen alle zugeschüttet, bis auf einige, die nur zu anderen Teilen der Schmiede führten. Alle Vorräte, die von außen kamen, wurden von bewaffneten Thrithingsöldnern bewacht, jedes Eintreffen von Inch oder einem seiner Hauptleute streng beaufsichtigt. Die einzigen Schlüssel rasselten an Inchs breitem Gürtel.
    Die Zeit für Josua und seine Freunde lief ab, und Simon konnte nichts tun.
    Und Pryrates ist immer noch in der Burg. Irgendwann wird er wieder hier herunterkommen. Was ist, wenn er es das nächste Mal nicht so eilig hat? Wenn er mich erkennt?
    Immer, wenn er sich allein und unbeobachtet fühlte, suchte Simon nach etwas, das ihm bei der Flucht helfen könnte, fand aber wenig, das dazu angetan war, seine Hoffnung zu wecken. Er steckte ein Stückchen Eisenschrott ein und wetzte es an den Steinen, wenn die anderen ihn schlafend glaubten. Falls Pryrates ihn doch entdeckte, würde er seine Haut so teuer wie möglich verkaufen.
     
    Simon und Stanhelm standen keuchend vor dem Haufen Abfallmetall. Der ältere Mann hatte sich an einer scharfen Kante geschnitten. Seine Hand blutete stark.
    »Halt still.« Simon riss einen Streifen von seiner zerlumpten Hose und wickelte ihn als Verband um die verletzte Hand. Vor Erschöpfung schwankte Stanhelm hin und her wie ein Schiff im Sturm. »Ädon!«, fluchte Simon betroffen. »Das geht tief.«
    »Kann nicht mehr«, murmelte Stanhelm. Zum ersten Mal zeigten die Augen über der Gesichtsmaske den leblosen, glasigen Blick der anderen Schmiedeknechte. »Kann nicht mehr.«
    »Bleib einfach so stehen«, riet Simon und zog den Knoten zu.
    »Ruh dich ein bisschen aus.«
    Stanhelm schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Kann nicht.«
    »Dann lass es. Setz dich hin. Ich hole den Kellenmann oder bringe dir Wasser.«
    Etwas Großes und Dunkles ging an den Flammen vorbei und verdeckte das Licht, wie ein Berg einen Sonnenuntergang verfinstert.
    »Ausruhen?« Inch senkte den Kopf und musterte erst Stanhelm, dann Simon. »Ihr arbeitet nicht.«
    »Er hat sich an der Hand v-verletzt.« Simon wich dem Blick des Aufsehers aus und starrte stattdessen auf Inchs breite Schuhe. Mit dumpfer Verwunderung bemerkte er, dass aus jedem ein platter, stumpfer Zeh herausschaute. »Er blutet.«
    »Kleine Männer bluten immer«, erwiderte Inch sachlich.
    »Zeit zum Ausruhen später. Jetzt gibt es Arbeit.«
    Stanhelm schwankte wieder leicht, sackte dann plötzlich zusammen und setzte sich auf den Boden. Inch betrachtete ihn kurz und trat dann auf ihn zu.
    »Steh auf. Zeit zum Arbeiten.«
    Stanhelm stöhnte nur leise und wiegte die verwundete Hand.
    »Steh auf.« Inchs Stimme war ein tiefes Grollen. »Sofort.«
    Der Sitzende sah ihn nicht an. Inch bückte sich und versetzte ihm einen so harten Schlag auf das Ohr, dass der Kopf des Schmiedeknechts ruckartig zur Seite knickte. Stanhelm fing an zu weinen.
    »Steh auf.«
    Als sich der Mann trotzdem nicht rührte, schlug ihn Inch noch einmal. Stanhelm kippte um und lag mit ausgestreckten Gliedern auf der Erde.
    Mehrere andere Arbeiter waren stehen geblieben und glotzten. Sie verfolgten Stanhelms Bestrafung mit der mutlosen Ruhe einer Schafherde, die zusieht, wie ein Wolf eines der Ihren raubt, und weiß, dass sie nun zumindest vorübergehend sicher ist.
    Stanhelm lag stumm und fast reglos da. Inch hob den Stiefel und hielt ihn über seinem Kopf. »Steh auf, Schwein.«
    Simons Herz raste. Es ging alles viel zu schnell. Er wusste, dass es unklug war, sich einzumischen – Stanhelm war offensichtlich am Ende, so gut wie tot. Warum sollte Simon alles für ihn aufs Spiel setzen?
    Andere Leute gern zu haben ist ein Fehler, dachte er

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