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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den letzten Ausweg … genau wie meine Mutter.«
    »Wie meint Ihr das?« Josua starrte den sterbenden Herzog an, als ob er noch nie einen Sterbenden gesehen hätte.
    »Meine Mutter begriff, dass ihr Spiel aus war. Ihr wäre nur die Schande geblieben. Also nahm sie Gift. Ich entschied mich für einen anderen Weg.«
    »Aber Ihr hättet fliehen können. Ihr beherrscht noch immer das Meer.«
    »Fliehen? Wohin?« Benigaris spuckte einen tiefroten Klumpen aus. »In die liebevollen Arme Eures Bruders und seines Hofzauberers? Außerdem gehören die verdammten Docks längst Streáwe –ich glaubte, er sei mein Gefangener, in Wirklichkeit unterwühlte er meine Macht von innen. Der Graf spielt uns alle gegeneinander aus – zu seinem eigenen Gewinn.« Sein Atem ging schwer. »Nein, ich war am Ende, sobald der Onestrinische Pass fiel, und ich wusste es. Darum wählte ich meinen eigenen Tod. Ich war weniger als ein Jahr Herzog, Josua. Niemand hätte sich je anders an mich erinnert als an einen Vatermörder. Jetzt aber, sofern jemand überlebt, werde ich der Mann sein, der mit Camaris um den Thron von Nabban kämpfte – und fast siegte.«
    Josua betrachtete ihn mit einem Ausdruck, der nicht recht zu deuten war. Er schwieg, aber Tiamak konnte die Frage nicht unterdrücken. »Was meint Ihr – ›sofern jemand überlebt‹?«
    Benigaris warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Sieh da, es kann sprechen.« Langsam drehte er seinen Kopf dem Prinzen zu.
    »Ach ja«, seufzte er, und sein mühsames Atmen verbarg die Schadenfreude nicht, »ich vergaß, es Euch zu sagen: Ihr habt den Preis gewonnen, aber Ihr werdet nicht viel Freude daran haben, Josua.«
    »Fast hättet Ihr mir leid getan, Benigaris«, versetzte der Prinz.
    »Aber dieses Gefühl ist nun verflogen.« Er stand auf.
    »Wartet!« Benigaris hob die blutige Hand. »Ihr solltet diese Dinge wirklich wissen. Bleibt nur noch einen Augenblick. Ich werde Euch nicht lange belästigen.«
    »Sprecht.«
    »Die Ghants kriechen aus den Sümpfen. Aus den Seenländern und den Küstenstädten in der Bucht von Firannos sind Reiter gekommen und haben es uns gemeldet. Die Ghants schwärmen aus, und sie sind zahlreicher, als Ihr es Euch vorstellen könnt.« Er lachte, und ein neuer Blutstrom schoss aus der Wunde. »Und das ist noch nicht alles«, fuhr er fast heiter fort. »Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb ich keine Lust hatte, mit einem Boot aus Nabban zu fliehen. Auch die Kilpa scheinen toll geworden zu sein. Die Niskies sind außer sich vor Furcht. Ihr seht, ich habe nicht nur mir einen sauberen, ehrenvollen Tod verschafft. Ihr und die Euren werdet mich vielleicht schon bald darum beneiden.«
    »Und Euer Volk?«, fragte Josua empört. »Denkt Ihr denn gar nicht daran? Wenn Ihr die Wahrheit sagt, leidet es schon jetzt.«
    »Mein Volk?«, schnaufte Benigaris. »Nicht mehr. Ich bin tot, und Tote kennen keine Treue. Außerdem ist es jetzt Euer Volk – Eures und das meines Oheims.«
    Josua sah ihn noch einmal lange an, drehte sich dann um und ging. Camaris wollte ihm folgen, fand sich aber schnell von einer Meute neugieriger Soldaten und Bürgern von Nabban umringt, denen er sich nicht entziehen konnte.
    Nur Tiamak blieb zurück, um neben dem gefallenen Herzog zu knien und seinem Sterben beizuwohnen. Die Sonne berührte schon fast den Horizont, und kalte Schatten wanderten über den Hang, als Benigaris endlich seinen letzten Atemzug tat.

20
Gefangener des Rades

    imon hatte anfangs den Eindruck gehabt, die große unterirdische Schmiede sei ein Versuch, die Hölle nachzuahmen. Als er ungefähr zwei Wochen als Gefangener dort gelebt hatte, war er sich der Tatsache sicher.
    Kaum waren er und die anderen Männer am Ende eines kräftezehrenden Tages in ihre Lumpennester gefallen, als auch schon einer von Inchs Helfern – einer Handvoll Männer, die nicht ganz so schrecklich anzusehen, aber keinen Deut menschlicher waren als ihr Meister – sie barsch anblökte, aufzustehen und die nächste Schicht zu beginnen. Schon halb schwindlig vor Müdigkeit, ehe sie noch eine Hand gerührt hatten, schlangen Simon und seine Mithäftlinge eine Tasse dünnen Haferbrei hinunter, der nach Rost schmeckte, und stolperten in die Schmiedehalle hinaus.
    War schon die Höhle, in der die Knechte schliefen, unangenehm heiß, so glich die eigentliche Schmiede einem Inferno. Die erstickende Hitze presste sich auf Simons Gesicht, bis seine Augäpfel trocken wie Walnussschalen waren und die Haut Blasen schlagen und

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