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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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geformte Steine, viel zu kunstvoll, als dass sie natürlich sein könnten, tönerne Gefäßscherben, zersplittertes Holz, sogar Skelette kleinerer Tiere. Aber erst als er sich zur anderen Seite der Höhle durchgearbeitet hatte, fand er etwas wirklich Nützliches.
    Seine tauben, steifgewordenen Finger berührten etwas Nasses. Er riss die Hand weg und streckte sie dann ganz langsam wieder aus. Vor ihm stand eine halb mit Wasser gefüllte, steinerne Schüssel. Daneben auf dem Boden, herrlich wie ein Wunder aus dem Buche Ädon, lag etwas, das sich anfühlte wie ein Stück altes Brot.
    Simon hatte das Brot schon im Mund, als er an Guthwulf dachte. Er zögerte. Sein Magen tobte. Er riss ein Stück ab, tunkte es ins Wasser und steckte es zwischen die Zähne. So aß er noch zwei weitere kleine Stücke, nahm dann die Schüssel vorsichtig in die schmerzenden, zitternden Hände und kroch zu Guthwulf hinüber. Er tauchte die Finger ins Wasser und tropfte es dem Grafen in den Mund. Er hörte, wie der Blinde durstig schluckte. Dann nahm er einen Bissen Brot, feuchtete ihn an und wollte den Kranken damit füttern. Aber Guthwulf machte den Mund nicht zu und schien weder kauen noch schlucken zu können. Simon wartete einen Augenblick, holte das Brot wieder heraus und aß es selbst.
    Von neuem überkam ihn Erschöpfung.
    »Später«, sagte er zu Guthwulf. »Später werdet Ihr essen. Ihr werdet wieder gesund werden, und ich auch. Dann verlassen wir diesen Ort.«
    Dann werde ich mit Hellnagel den Turm besteigen. Dafür habe ich mir mein Leben zurückgeholt.
    »Das Hexenholz steht in Flammen, der Garten brennt …« Der Graf wand und wälzte sich. Hastig zog Simon die Schüssel weg, außer sich vor Angst, sie könnte umkippen. Guthwulf stöhnte.
    »Ruakha, ruakha Asu’a!«
    Selbst aus einiger Entfernung spürte Simon noch die wütende Hitze, die von ihm ausging.

    Der Mann lag am Boden, das Gesicht gegen den Stein gepresst. Seine Kleidung und Haut waren so schmutzig, dass er sich kaum davon abhob. »Das ist alles, Meister. Ich schwöre es.«
    »Steh auf.« Pryrates trat ihn in die Rippen, jedoch nicht so hart, dass etwas brach. »Ich kann dich ja kaum verstehen.«
    Der Mann richtete sich auf den Schenkeln auf. Sein bärtiger Mund zitterte vor Furcht. »Das ist alles, Meister. Sie sind ausgerissen. Das Wasser entlang.«
    »Das weiß ich, Dummkopf.«
    Der Alchimist hatte seinen Soldaten, nachdem sie von ihrer vergeblichen Suche zurückgekehrt waren, keine weiteren Anweisungen gegeben. Sie standen unbehaglich herum. Man hatte Inchs Reste von den Ketten entfernt, die Pryrates’ Turmspitze drehten. Was noch von ihm übrig war, lag auf einem unappetitlichen Haufen neben der Rinne. Es war nicht zu übersehen, dass die meisten Wachen gern die Erlaubnis gehabt hätten, das, was von dem Aufseher noch vorhanden war, zuzudecken. Aber da ihnen Pryrates keinen entsprechenden Befehl erteilt hatte, blickten sie angestrengt in andere Richtungen.
    »Und du weißt nicht, wer die beiden waren?«
    »Es war der blinde Mann, Meister. Manche haben ihn hier schon gesehen, aber keiner hat ihn je erwischt. Er nimmt ab und zu Sachen weg.«
    Ein Blinder, der in den Höhlen lebte. Pryrates lächelte. Er konnte sich recht gut vorstellen, um wen es sich handelte.
    »Und der andere? Ein Schmiedeknecht, den Inch bestraft hat, nehme ich an?«
    »Das war er, Meister. Aber Inch nannte ihn noch anders.«
    »Anders? Wie?«
    Der Mann stockte, das Gesicht eine Maske des Entsetzens. »Weiß nicht mehr«, flüsterte er.
    Pryrates beugte sich über ihn, bis sein haarloses Gesicht nur noch eine Handbreit von der Nase des anderen entfernt war.
    »Ich kann dir helfen, dich zu erinnern.« Der Mann erstarrte, wie ein Frosch vor dem Blick der Schlange. Ein winziges Wimmern entrang sich seiner Kehle. »Ich versuch’s, Meister«, quäkte er, und dann: »Küchenjunge! Doktor Inch nannte ihn ›Küchenjunge‹!«
    Pryrates hob den Kopf. Der Mann sackte schwer atmend zusammen. »Ein Küchenjunge«, murmelte der Priester sinnend. »Ist es möglich?« Plötzlich lachte er, ein schnarrender, kratziger Laut. »Ausgezeichnet. Er muss es sein!« Er wandte sich an die Soldaten. »Wir haben hier nichts mehr zu tun. Und der König braucht uns.«
    Inchs Vertrauter starrte auf den Rücken des Alchimisten. Seine Lippen zuckten, als er allen Mut zusammennahm, um zu sprechen. »Meister?«
    Pryrates drehte sich langsam um. »Was?«
    »Jetzt … jetzt, wo Doktor Inch tot ist … wer soll sich jetzt um

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