Der Engelsturm
Wald folgte?«
»Ja, und auch durch Stanshire und Falshire. Erst, als er zu Euch stieß«, er wies auf Binabik, »musste ich größeren Abstand halten. Dieser Wolf hat eine feine Nase.«
»Ihr wart keine große Hilfe, als die Feuertänzer über uns herfielen.«
Cadrach schauderte nur.
»Und dann seid Ihr uns bis hierher nachgegangen?«
»Ich verlor Eure Spur im Hasutal. Es war reiner Zufall, dass ich Euch wiederfand. Wenn Ihr nicht nach Sankt Sutrin gekommen wärt, wo ich dank der Güte dieses verrückten Domitis ein Dach über dem Kopf gefunden hatte, wären wir einander wohl nie wieder begegnet.« Wieder lachte er heiser. »Überlegt Euch das, Herrin. Euer Pech begann, als Ihr Gottes Haus betratet.«
»Das reicht.« Miriamel verlor allmählich die Geduld mit Cadrachs Selbsthass. »Ihr seid hier. Was tun wir nun?« Bevor der Mönch etwas dazu sagen konnte, schlurfte Yis-fidri herbei. Der Unterirdische sah Cadrach traurig an und wandte sich dann an Miriamel und Binabik. »In einem hat dieser Mann recht. Es steht wieder jemand vor der Tür. Die Hikeda’ya sind gekommen.«
Schweigen herrschte, als ihnen die Bedeutung dieser Worte klar wurde.
»Bist du sicher?« Miriamel hatte wenig Hoffnung, dass die Unterirdischen sich irrten, aber der Gedanke, in einer Höhle eingesperrt zu sein, vor deren Eingang die Leichenfratzen der Nornen lauerten, hatte etwas Entsetzliches. Als Figuren in den Erzählungen ihres Onkels über den Untergang von Naglimund waren die Weißfüchse grausig genug gewesen – bis sie sie auf dem Berggipfel über dem Hasutal selbst gesehen hatte. Sie hätte gern für den Rest ihres Lebens darauf verzichtet, sie wiederzusehen, fürchtete aber, dass ihr so viel Glück nicht beschieden sein würde. Die panische Angst, die Cadrachs überraschende Ankunft eine Weile in den Hintergrund gedrängt hatte, stieg von neuem in ihr auf. Plötzlich bekam sie keine Luft mehr. »Und ihr seid sicher, dass es die Nornen und nicht nur ein paar Soldaten meines Vaters sind?«
»Diesen Mann hier haben wir nicht erwartet«, entgegnete Yisfidri, »aber wir kennen die Wesen, die durch unsere Tunnel streifen. Im Augenblick hält die Tür sie noch zurück, aber das kann sich bald ändern.«
»Aber wenn es eure Tunnel sind, müsst ihr doch einen Fluchtweg kennen.«
Der Unterirdische antwortete nicht.
»Vielleicht werden wir die Steine, die wir gesammelt haben, dochzur Anwendung bringen«, bemerkte Binabik. »Wir sollten unsere Gedanken nun auf einen Fluchtversuch richten, bevor sich noch mehr von unseren Widersachern einfinden. Yis-fidri! Kannst du mir sagen, wie viele dort draußen harren?«
Der Unterirdische flötete seiner Gattin eine Frage zu.
Nachdem er ihrer Antwort gelauscht hatte, drehte er sich um.
»Vielleicht so viele wie Finger an einer Hand. Aber das wird nicht lange so bleiben.«
»So wenige?« Miriamel setzte sich auf. »Dann sollten wir kämpfen! Wenn dein Volk uns hilft, Yis-fidri, könnten wir diese wenigen bestimmt überwinden und fliehen.«
Yis-fidri wich mit sichtlichem Unbehagen zurück. »Ich habe es dir doch schon gesagt. Wir sind nicht stark. Wir kämpfen nicht.«
»Hört auf das, was die Tinukeda’ya sagen.« Cadrachs Stimme war kalt. »Nicht, dass es noch einen großen Unterschied bedeuten würde, aber ich zumindest würde lieber hier mein Ende abwarten, als mich von einem Speer der Weißfüchse durchbohren zu lassen.«
»Aber wenn wir hier sitzen bleiben, ist unser Ende sicher. Wenn wir einen Fluchtversuch wagen, gibt es zumindest noch Hoffnung.«
»So oder so gibt es keine Hoffnung«, erwiderte der Mönch. »Hier drinnen können wir wenigstens unseren Frieden mit uns selbst machen und notfalls von eigener Hand sterben.«
»Was seid Ihr doch für ein unglaublicher Feigling!«, schrie Miriamel ihn an. »Ihr habt doch gehört, was Yis-fidri gesagt hat – höchstens ein halbes Dutzend! Das ist nicht das Ende der Welt. Wir können es schaffen.«
Cadrach sah sie an. In seinem Gesicht kämpften Kummer, Widerwille und kaum verhohlene Wut. »Es sind nicht die Nornen, die ich fürchte«, sagte er dann. »Aber es ist das Ende der Welt.«
Miriamel erkannte, dass etwas Ungewöhnliches in seinem Ton lag, etwas, das weit über seine übliche Schwarzseherei hinausging. »Wovon sprecht Ihr, Cadrach?«
»Vom Ende der Welt«, wiederholte der Mönch und holte tief Atem. »Herrin, selbst wenn Ihr und ich und dieser Troll es fertigbrächten, jeden Nornen hier auf dem Hochhorst – und sogar jeden
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