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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mir. Oder nein, weck Isgrimnur und hol noch ein paar andere Männer. Sie sollen Fackeln mitbringen!«
    Der Prinz nahm einen brennenden Ast aus dem Feuer, drehte sich um und drängte sich durch die Zeltklappe. Er untersuchte den Schnee und versuchte, das Gewirr von Fußabdrücken zu deuten. Schließlich entschied er sich für eine Fährte, die zum Kynslagh hinabführte. Gleich darauf hatte er den Schein der wenigen noch brennenden Lagerfeuer hinter sich gelassen. Der Mond stand schon nicht mehr am Himmel, aber der Erobererstern brannte noch immer hell wie ein Signalfeuer.
    Die Spur lief zunächst ziellos hin und her, aber nach kaum einer Achtelmeile wurde klar, dass die Klippen östlich der Seemauer des Hochhorsts ihr Ziel waren. Als Josua in diese Richtung spähte, erkannte er eine helle Gestalt, die sich von einer Wand aus leerer Schwärze abhob – dem Kynslagh.
    »Camaris!«, rief er. Die Gestalt hielt nicht an, sondern steuerte auf den Rand des Kliffs zu, schwankend wie eine Marionette, deren Schnüre sich verknotet haben. Der Prinz fing an zu rennen, rutschte im tiefen Schnee, wurde langsamer, als er die Klippen erreicht hatte. »Camaris«, sagte er und zwang seine Stimme zu täuschender Ruhe. »Wohin wollt Ihr?«
    Der alte Mann drehte sich nach ihm um. Er trug keinen Mantel, und sein weites Hemd flatterte im Wind. Selbst im trüben Licht der Sterne hatte seine Haltung etwas Merkwürdiges.
    »Ich bin es, Josua.« Der Prinz breitete die Arme aus, als wollte er den alten Mann an sein Herz schließen. »Kommt mit mir zurück. Wir wollen uns ans Feuer setzen und reden.«
    Camaris starrte ihn an, als gebe Josua tierische Laute von sich, und begann die Felsen hinunterzusteigen. Josua eilte ihm nach.
    »Halt! Camaris, wohin geht Ihr?« Er kletterte über die Kante und musste sich anstrengen, auf dem schlammigen Hang das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Kommt doch zurück.«
    Der alte Ritter fuhr herum und riss Dorn aus der Scheide. Obwohl er einen erschreckend verwirrten Eindruck machte, führte er das Schwert mit unbewusster Meisterschaft. An seinem Wehrgehenk baumelte das Horn Cellian, das hin- und herschwankte und Josuas Blick auf sich lenkte. »Es ist Zeit«, flüsterte Camaris. Im Rauschen der Wellen, die unten klatschend ans Ufer schlugen, konnte man ihn kaum hören.
    »Das könnt Ihr nicht tun.« Josua streckte ihm die Hand entgegen. »Wir sind noch nicht bereit. Ihr müsst doch auf die anderen warten!« Er kam ein paar glitschige Schritte auf Camaris zu. »Kommt mit mir.«
    Plötzlich schwang Camaris in weitem, flachem Bogen das Schwert. In der Dunkelheit war es fast unsichtbar. Zischend fuhr es an der Brust des Prinzen vorbei.
    »Bei Ädons Blut, Camaris, erkennt Ihr mich nicht?« Josua trat einen Schritt zurück. Der alte Mann hob das Schwert zum nächsten Hieb.
    »Es ist Zeit!«, wiederholte er und schlug zu, diesmal mit tödlicher Zielstrebigkeit.
    Josua warf sich nach hinten. Seine Füße rutschten weg. Er ruderte noch mit den Armen, verlor dann aber das Gleichgewicht und stürzte den Abhang hinunter, rollte durch hohes Gras und über Schlamm und Steine und landete schließlich in einer schmutzigen Schneewehe, wo er keuchend vor Schmerz liegen blieb.
    »Prinz Josua?« Oben an der Kante erschien ein Kopf. »Seid Ihr dort unten?«
    Mühsam rappelte der Prinz sich auf. Camaris war inzwischen weiter den Hang hinuntergestiegen und zum Strand gekommen. Jetzt wanderte seine gespenstische Gestalt am Rand der Klippen entlang.
    »Ich bin hier!«, rief Josua Jeremias zu. »Verdammt, wo ist der Herzog?«
    »Er kommt, aber ich sehe ihn noch nicht«, verkündete der junge Mann aufgeregt. »Ich habe ihm Bescheid gesagt und bin Euch dann nachgerannt. Soll ich hinunterkommen und Euch helfen? Seid Ihr verletzt?«
    Josua drehte sich um und sah, dass Camaris zögernd vor einer der dunklen Öffnungen in der Wand des Kliffs stehen geblieben war. Gleich darauf verschwand er darin. »Nein!«, schrie Josua und rief dann Jeremias zu: »Hol Isgrimnur, sag ihm, er soll sich beeilen! Sag ihm, Camaris sei in eine der Höhlen gegangen – ich werde ihm dort ein Zeichen hinterlassen! Wenn wir noch länger warten, verlieren wir ihn. Ich werde ihn herausholen.«
    »Ihr … Ihr …« Der Knappe war verwirrt. »Ihr wollt ihm folgen?«
    »Verflucht, ich kann ihn doch nicht allein dort herumkriechen lassen – er ist nicht bei Sinnen! Ädon weiß, was ihm zustoßen könnte … Irgendwie werde ich ihn zurückbringen, und wenn ich ihn zuerst

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