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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Atemlos stürzte sie zu Boden.
    »Miriamel!« Binabik eilte an ihre Seite. »Hast du dir wehgetan?«
    Sie schüttelte seine helfende Hand ab und setzte sich hin.
    »So!«, erklärte sie triumphierend. »Du hast uns nicht die Wahrheit gesagt, Yis-fidri.«
    Der Unterirdische starrte sie an, als hätte sie Schaum vor dem Mund. Er kräuselte schützend die flachen Finger vor der Brust.
    »Nein, das hast du nicht«, wiederholte Miriamel und stand auf. »Mich stößt du weg, damit ich dich nicht gegen deinen Willen zu etwas zwinge – warum nicht auch die Nornen? Willst du denn sterben? Die Nornen, zweifle nicht daran, werden dich töten, dich und mich und uns alle. Vielleicht werden sie euch ja auch wieder zu Sklaven machen – ist es das, worauf du hoffst? Warum leistest du mir Widerstand und ihnen nicht?«
    Yis-fidri warf einen kurzen Blick auf seine Gattin, die stumm und feierlich zurückblickte. »Aber wir können doch nichts tun.« Der Unterirdische schien um Miriamels Verständnis zu flehen.
    »Es gibt immer etwas, das man tun kann«, fauchte die Prinzessin. »Vielleicht ändert sich dadurch nichts, aber man hat es wenigstens versucht. Du bist stark, Yis-fidri – ihr Unterirdischen seid alle starkund begabt zu vielerlei Dingen. Ich habe gesehen, wie deine Gattin den Stein formte. Vielleicht seid ihr bisher immer weggelaufen, aber jetzt gibt es auch für euch keine Zuflucht mehr. Verdammt! Helft uns!«
    Yis-hadra sagte etwas in der Sprache der Unterirdischen, auf das eine gemurmelte, aber schnelle Antwort von anderen in der Gruppe folgte. Yis-fidri mischte sich ein, und die Unterirdischen führten eine lange Unterredung. Ihre Stimmen raunten und gurgelten wie Wasser, das über Steine plätschert.
    Endlich erhob sich Yis-hadra. »Ich werde euch helfen«, sagte sie. »Ihr sprecht die Wahrheit. Wir können nirgendwohin fliehen und sind fast die Letzten unserer Art. Wenn wir sterben, wird niemand mehr da sein, der den Stein hegen und ernten kann, niemand, der die schönen Dinge in der Erde findet. Das wäre allzu schade.« Sie sah ihren Gatten an und sprach von neuem rasch auf ihn ein. Yis-fidri schloss die riesigen Augen.
    »Ich werde tun, was meine Gattin tut«, erklärte er dann mit sichtlichem Widerstreben. »Aber wir sprechen nicht für die anderen Tinukeda’ya.«
    »Dann sprecht mit ihnen«, drängte Miriamel. »Uns läuft die Zeit davon!«
    Yis-fidri zögerte, nickte aber schließlich. Die anderen Unterirdischen schauten zu, und auf ihren fremdartigen Gesichtern stand Furcht.
     
    Mit pochendem Herzen duckte sich Miriamel ins Dunkel. Sie konnte die Hand nicht vor Augen sehen, obwohl die Kristallstäbe offenbar immer noch so viel Licht abgaben, dass zumindest die Unterirdischen genug erkennen konnten; sie hörte, wie sie so sicher in der Höhle umherliefen wie in einem hellerleuchteten Zimmer.
    Sie streckte den Arm aus, um Binabiks kleine, aber tröstliche Gestalt zu berühren, die neben ihr kauerte. »Ich fürchte mich«, wisperte sie.
    »Und wer nicht?« Er tätschelte ihre Hand.
    Miriamel öffnete schon den Mund, um noch etwas zu sagen, als eine leichte Erschütterung durch das Gestein hinter ihr ging. Zuerstdachte sie, es sei wieder die merkwürdige Verschiebung, die sie schon einmal gespürt und die Yis-hadra und die anderen Unterirdischen so erschreckt hatte. Dann aber leuchtete in der schwarzen Leere an der Tür ein schwacher, blauer Strahl auf. Er glich keinem Licht, das sie kannte, denn er erhellte nichts von seiner Umgebung, sondern war nur ein pulsierender, himmelblauer Strich in der Schwärze.
    »Sie kommen«, stieß sie hervor. Ihr Herz raste noch wilder, und ihre tapferen Worte von vorhin kamen ihr albern vor. Auf Binabiks anderer Seite wurde Cadrachs heiseres Atmen lauter. Sie rechnete fast damit, dass er schreien würde, vielleicht, um die Nornen zu warnen. Sie glaubte ihm auch seine Behauptung nicht, dass er seine Kunst verlernt habe und ihnen gegen die Nornen nicht helfen könne, weil er sogar zu schwach sei, die geringen Fähigkeiten anzuwenden, über die er noch verfügte.
    Die blaue Linie wurde länger. Ein warmer Wind wehte durch die Kammer; ihre angespannten Sinne spürten ihn wie einen Schlag mit der flachen Hand. Zum dutzendsten Mal, seit die Unterirdischen ihre Höhle verdunkelt hatten, zupfte Miriamel an den Riemen ihres Reisesacks und wischte den Schweiß vom Griff des Dolches. Zugleich umklammerte sie Simons Weißen Pfeil; wenn die Nornen nach ihr griffen, würde sie mit beiden

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