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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Jarnaugas, Dinivans und Valada Geloës Lippen Weisheit erfahren. Darum muss einer von uns beiden mitgehen, denn was würde geschehen, wenn dieser Stoßtrupp tatsächlich die Schwerter fände und dann nichts mit ihnen anfangen könnte? Eine zweite Gelegenheit wird sich uns nicht bieten.«
    »Oh! Nun … dann … Erbarmen! Dann sollte besser ich gehen, denn von allen Trägern der Schriftrolle, die es noch gibt, habe ich mich am längsten mit diesen Dingen befasst.«
    »Ja, Strangyeard, mein guter Trockenländer-Freund, Ihr wisst von uns allen am meisten über die Schwerter. Aber Ihr habt nur ein Auge, und auch dieses Auge sieht nicht sehr gut. Und Ihr seid viele Jahre älter als ich und nicht so daran gewöhnt, zu klettern und sich durch enge Löcher zu winden. Wäre Binabik von Yiqanuc hier, so würde ich ihn gehen lassen und ihm alles Gute dazu wünschen, denn er ist gelehrter in diesen Dingen als ich und mindestens ebenso tüchtig in anderer Hinsicht – ganz zu schweigen davon, dass er wohl kaum in einem engen Tunnel stecken bleiben wird.« Er wiegte traurig den Kopf. »Aber Binabik ist nicht hier, die weise Frau Geloë hat uns verlassen, und die alten Träger der Schriftrolle sind alle tot. Darum meine ich, dass die Reihe an mir ist. Ich habe in der kurzen Zeit, die wir zusammen sind, viel von Euch gelernt, Strangyeard.« Von neuem stieß er einen tiefen Seufzer aus. »Ich habe immer noch Alpträume von meinem Aufenthalt im Nest der Ghants und von den Bildern, die damals durch meinen Kopf gingen, und dem Klang meiner eigenen Stimme, die in der Finsternis klickte und klackte. Und doch fürchte ich, dass mir noch Schlimmeres bevorsteht.«
    Sie schwiegen lange. Dann fing der Priester an, in seinen Sachen herumzuwühlen, bis er endlich einen Lederschlauch zutage förderte. »Hier. Das ist ein starkes Getränk, das man aus Beeren herstellt. Jarnauga brachte es nach Naglimund mit; er sagte, es schütze gegen die Kälte.« Er lachte nervös. »Und an Kälte fehlt es uns ja wohl nicht, wie? Versucht einen Schluck.« Er reichte Tiamak den Schlauch.
    Der Schnaps war süß und feurig. Der Wranna schluckte und nahm einen zweiten Zug. Dann gab er Strangyeard den Schlauch zurück. »Es schmeckt ungewöhnlich, aber gut. Ich bin eher das saure Farnbier gewöhnt. Probiert selbst.«
    »Ach … ich glaube, für mich ist es zu stark«, stotterte der Priester. »Ich wollte nur, dass Ihr …«
    »Ein kleiner Schluck wird uns helfen, die Kälte fernzuhalten. Vielleicht hilft er Euch sogar, den flüchtigen Gedanken zu erhaschen, den Ihr erwähnt habt.«
    Zögernd führte Strangyeard den Schlauch an die Lippen. Er nahm einen winzigen Schluck und bewegte ihn im Mund, dann einen weiteren.Tiamak stellte erfreut fest, dass er sich dabei nicht verschluckte. »Es ist … heiß«, meinte der Priester staunend.
    »Fühlt sich so an, wie?« Der Wranna ließ sich gegen eine der Satteltaschen des Archivars sinken. »Trinkt noch einmal und gebt mir dann den Schlauch zurück. Ich werde mehr als nur ein paar Züge brauchen, bis ich den Mut aufbringe, Josua zu sagen, was ich vorhabe.«
     
    Der Schlauch war so gut wie leer. Tiamak hatte gehört, wie draußen die Wachen wechselten, und wusste, dass es kurz vor Mitternacht sein musste. »Ich sollte jetzt gehen«, meinte er und lauschte den Worten, die er von sich gab, voller Stolz, weil sie so wohlartikuliert klangen. »Ich sollte gehen, denn ich muss ja Prinz Josua noch meinen Plan erläutern.«
    »Euren Plan erläutern, jawohl.« Strangyeard hielt den Weinschlauch an der Zugschnur und ließ ihn kreisen. »Sehr gut.«
    »Darum werde ich jetzt gleich aufstehen«, bedeutete ihm Tiamak.
    »Ich wünschte, Geloë wäre hier.«
    »Geloë? Hier?« Tiamak runzelte die Stirn. »Um diesen Schnaps aus Rimmersgard zu trinken?«
    »Nein. Doch, vielleicht schon.« Strangyeard hob die andere Hand und setzte den Schlauch wieder in Bewegung. »Um mit uns zu reden. Weise, das war sie. Ein bisschen zum Fürchten – habt Ihr Euch nicht gefürchtet? Diese Augen …« Bei der Erinnerung an Geloës bohrenden Blick umwölkte sich seine Stirn. »Aber zuverlässig. Tröstlich.«
    »Natürlich. Wir vermissen sie.« Tiamak kam wacklig auf die Füße. »Schlimme Sache.«
    »Warum haben sie es wohl getan … diese Ungeheuer?«, überlegte der Priester.
    »Geloë zu töten?«
    »Nein – Camaris.« Strangyeard legte den Schlauch vorsichtig auf eine Decke. »Warum töteten sie Camaris? Nein.« Er lächelte beschämt. »Ich meine …

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