Der Engländer
Vater?«
»Die Galerie Isakowitz hatte sich neben der Galerie Rosenberg etabliert. Wir haben dort über den Ausstellungsräumen gewohnt. Picasso war für mich ›Onkel Pablo‹. Ich bin oft in seiner Wohnung gewesen. Manchmal durfte ich ihm zusehen, wie er malte. Olga hat mich mit Schokolade und Kuchen verwöhnt, bis mir schlecht war. Das war eine herrliche Zeit.«
»Und als die Deutschen kamen?«
»Nun, da war mit einem Schlag alles vorbei, nicht wahr? Der deutsche Angriff begann am 10. Mai 1940. Schon am 14. Juni hingen am Eiffelturm Hakenkreuzfahnen, und der deutsche Generalstab hatte im Hotel Crillon die besten Zimmer in Beschlag genommen.«
»Wann haben die Plünderungen begonnen?«
»Zwei Tage nach Hitlers Siegesbesuch in Paris mußten auf seine Weisung sämtliche Kunstwerke in jüdischem Besitz an die Deutschen abgeliefert werden, damit sie ›in sichere Obhut‹
kamen. Tatsächlich begann so die Ausplünderung Frankreichs.«
»Wenn ich mich recht erinnere, hat Hitler einer eigens gegründeten Organisation den Auftrag erteilt, die Ausplünderung Frankreichs zu überwachen.«
»Es hat mehrere gegeben, aber die wichtigste war unter der Abkürzung ERR bekannt: Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg.
Eine beeindruckende Organisation. Sie hatte ihren eigenen Spitzeldienst, um Kunstwerke aufspüren zu können, eine Einsatztruppe für Razzien und Beschlagnahmungen und einen ganzen Stab von Kunsthistorikern und Schätzern. Gott, sie hatte sogar eigene Tischler, die geraubte Kunstwerke für den Transport nach Deutschland in Kisten verpackten!«
»Die Rue de la Boétie muß ihr erstes Ziel gewesen sein.«
»Der ERR hat Jagd auf Händler und Sammler gemacht. Die Sammlungen der Familie Rothschild wurden mitsamt ihren Villen beschlagnahmt. Ebenso wie die Sammlungen der jüdischen Großbankiers David David-Weill und Jacques Stern.
In der Rue de la Boétie fand in allen Galerien in jüdischem Besitz eine Razzia statt, bei der ihre Sammlungen beschlagnahmt wurden - auch der Lagerbestand der Galerie Isakowitz.«
»Hat dein Vater wenigstens einen Teil seiner Werke retten können?«
»Die meisten Kunsthändler, darunter auch mein Vater, hatten versucht, ihre wichtigsten Werke in Sicherheit zu bringen. Sie versteckten sie in Banktresoren oder abgelegenen Schlössern oder versuchten, sie außer Landes zu bringen. Aber alle übrigen Werke fielen sehr rasch in die Hände der Deutschen. In der als drôle de guerre bezeichneten Zeit zwischen Kriegsausbruch und dem deutschen Angriff mietete mein Vater eine Villa in Bordeaux und brachte seine wichtigsten Werke dort unter. Als die Deutschen auf Paris vorrückten, sind wir nach Bordeaux geflüchtet. Und bei der Aufteilung Frankreichs in ein besetztes und ein unbesetztes Gebiet fanden wir uns in dem vom Vichy-Regime kontrollierten Gebiet wieder. Aber im Herbst 1940 brach ein ERR-Trupp unter französischem Polizeischutz die Tür unserer Villa auf und beschlagnahmte die Gemäldesammlung meines Vaters.«
»Wie haben die Deutschen sie aufgespürt?«
»Er hatte den Fehler gemacht, einem französischen Kunsthändler zu erzählen, was er mit seinen Bildern vorhatte.
Der Franzose ist mit diesen Informationen zum ERR gegangen und hat sich als Belohnung fünf Prozent des Werts der Sammlung meines Vaters versprechen lassen. C'est la vie.«
Gabriel wußte, was danach geschehen war, und wollte es Isherwood ersparen, diese Ereignisse nochmals zu schildern.
Kurz nachdem die Deutschen Ende 1942 auch den bis dahin unbesetzten Teil Frankreichs eingenommen hatten, begannen die SS und ihre Helfershelfer im Vichy-Regime, die französischen Juden zusammenzut reiben und in Vernichtungslager abzutrans-portieren. Isherwoods Vater heuerte zwei baskische Schmuggler an, um den kleinen Julian über die Pyrenäen ins sichere Spanien bringen zu lassen. Er selbst und seine Frau blieben in Frankreich zurück. Im Jahr darauf wurden sie verhaftet, nach Sobibor abtransportiert und dort wenig später ermordet.
Isherwood fuhr zusammen, als laufe ihm ein kalter Schauder über den Rücken. »Ich brauche einen Drink, fürchte ich. Los, aufstehen, Gabriel! Etwas Bewegung an der frischen Luft tut uns beiden gut.«
Sie gingen um die Ecke in eine Weinbar in der Jermyn Street, wo sie einen Platz an dem zischenden Gaskamin fanden.
Isherwood bestellte sich ein Glas Médoc. Sein Blick war auf die Flammen gerichtet, aber in Gedanken weilte er noch im Frankreich während des Kriegs. Wie ein Kind, das sich ins
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