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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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nächsten Morgen auf dem Belfaster Stadtfriedhof mit rasiertem Kopf und durchschnittener Kehle aufgefunden - die Strafe dafür, daß sie mit einem britischen Agenten geschlafen hatte.
    Seit damals hatte der Engländer es nie wieder über sichgebracht, einer Frau zu vertrauen. Das wußte Antonio Orsati.
    Einmal pro Woche brachte er ein Mädchen zur Villa des Engländers hinauf-keine Korsinnen, sondern immer Französinnen, die er für die speziellen Bedürfnisse des Engländers einfliegen ließ. Und er wartete unten an der Straße bei dem alten paesanu, bis der Engländer fertig war. Der Engländer fand den Liebesakt mit Orsatis Mädchen kalt und klinisch wie einen Auftragsmord, aber er ließ sich darauf ein, weil er sich nicht dazu überwinden konnte, sich eine Geliebte zu nehmen, und trotzdem nicht bereit war, wie ein enthaltsamer Einsiedler zu leben.
    Der Auftrag in Paris drängte sich in den Vordergrund seiner Gedanken. Es gab da jemanden, der ihm Sorgen machte: der Mann, der die Galerie kurz vor der Detonation des Sprengsatzes betreten hatte. Der Engländer war das Produkt einer Eliteeinheit und deshalb imstande, solche Einflüsse bei anderen zu erkennen: den leichten, elastischen Schritt, die subtile Kombination aus unbedingtem Selbstbewußtsein und ständiger Wachsamkeit.
    Der Mann war früher Soldat gewesen… oder vielleicht etwas Komplizierteres.
    Aber das war nicht alles. Der Engländer hatte das quälende Gefühl, den Mann schon einmal anderswo gesehen zu haben.
    Und so lag er jetzt stundenlang wach, ließ die unzähligen in seinem Gedächtnis gespeicherten Gesichter an sich vorbeiziehen und suchte diesen Mann.

19 - LONDON
    Der Bombenanschlag auf die Pariser Galerie Müller hatte Gabriel nicht nur vor ein Sicherheitsproblem gestellt. Er hatte auch seine einzige offensichtliche Fährte in dieser Sache vernichtet. Gabriel mußte wieder von vorn anfangen, und deshalb überquerte er am Spätvormittag des nächsten Tages bei Nieselregen den Mason's Yard, um zu Julian Isherwoods Galerie zu gelangen.
    In die Backsteinmauer neben dem Eingang war eine Messingplatte mit zwei Klingelknöpfe n eingelassen, zu denen je ein Namensschild gehörte: 
    LOCUS TRAVEL und ISHER 00 FINE ARS. 
    Gabriel drückte auf den zweiten Knopf und wartete.
    Als der Türöffner summte, stieß er die Tür auf und stieg die Treppe hinauf: derselbe abgetretene Kokosläufer, derselbe an einen Rorschach-Test erinnernde Kaffeefleck auf der dritten Stufe, wo Isherwood am Morgen nach Oliver Dimblebys rauschender Geburtstagsfete im Mirabelle einen Kaffee verschüttet hatte. Oben an der Treppe gab es zwei Türen, von denen eine in die Galerie und die andere in ein kleines Reisebüro führte, in dem eine wenig attraktive Frau inmitten von Plakaten, die Spiel, Spaß und Abenteuer an exotischen Reisezielen versprachen, hinter einem Schreibtisch saß, der an das Pult eines Schuldirektors erinnerte. Sie sah zu Gabriel auf, lächelte traurig und konzentrierte sich wieder auf ihre Stickarbeit.
    Während Isherwood sich unklugerweise an die Gemälde in seinem Lagerbestand klammerte, war dies bei den Mädchen, die Anrufe für ihn entgegennahmen und Ordnung in seine chaotischen Unterlagen zu bringen versuchten, nicht der Fall. Er stellte sie ein und ekelte sie wieder hinaus, wann es ihm gerade paßte. Deshalb war Gabriel überrascht, als er sah, daß Irina, das schwarzmähnige Leopardenmädchen, das Isherwood vor einem halben Jahr eingestellt hatte, noch immer auf ihrem Platz am Schreibtisch im Vorzimmer saß.
    Die Tür zwischen dem Vorzimmer und Isherwoods Büro stand einen Spalt weit offen. Gabriel konnte ein Gemälde erkennen, das zur Besichtigung auf einem mit schwarzem Filztuch überzogenen Podest stand. Anscheinend ein italienischer Alter Meister, aber keiner, den Gabriel kannte. Auf dem Teppich dahinter ging Isherwood langsam auf und ab - eine Hand am Kinn, den Blick gesenkt wie ein Anwalt, der auf die Antwort eines Zeugen der Gegenpartei wartet. Sein Kunde war unsichtbar bis auf die blaugrauen Rauchwölkchen, die sich von einer dicken Zigarre in Richtung Decke kringelten.
    »Er läßt Sie bitten, oben im Ausstellungsraum zu warten«, schnurrte das Leopardenmädchen. »Sie kenne n den Weg, nicht wahr?«
    Gabriel trat in den winzigen Lift und fuhr nach oben. In dem von grauen Schatten erfüllten Ausstellungsraum war es still bis auf den Regen, der auf die große Glaskuppel plätscherte. An den Wänden hingen großformatige Alte Meister: eine Venus von

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