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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Augustus Rolfe war offenbar ein ernsthafter Sammler. Selbst wenn er die Bilder unter nicht ganz sauberen Umständen erworben hat, wird er darauf bestanden haben, ihre genaue Herkunft zu erfahren. Schließlich ist Provenienz alles.«
    »Und wenn ihre Provenienz sich ermitteln läßt?«
    »Dann kann ich dir sagen, ob Rolfe ein ehrbarer Sammler war - oder ob der alte Gauner auf einem Schatzgewölbe mit geraubten Kunstwerken gesessen hat.«
    Gabriel hatte sich auf der Duke Street von ihm trennen wollen, aber Isherwood faßte ihn am Ellbogen und zog ihn durch die Passage in den Mason's Yard. »Komm mit rauf. Ich muß dir noch etwas zeigen.«
    Als sie die Galerie betraten, erkannte Irina die verräterischen Anzeichen eines Mittagessens aus der Flasche. Sie gab Isherwood einen kleinen Stapel Telefonnotizen und machte sich daran, Kaffee zu kochen. In seinem Büro öffnete Isherwood seinen Wandsafe und nahm zwei Gegenstände heraus: eine Porträtskizze eines Jungen und eine aus mehreren Blättern bestehende Fotokopie eines alten Schriftstücks. Er hielt die Skizze hoch, damit Gabriel sie sehen konnte.
    »Kommt dir der Junge bekannt vor?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Das bin ich. Die Skizze stammt von Pablo Picasso. Ich habe sie auf der Flucht bei mir getragen.«
    »Und das Schriftstück?«
    »Das habe ich auch bei mir getragen. Mein Vater hat es mir anvertraut, unmittelbar bevor ich mit den Basken aufgebrochen bin. Es ist eine von ihm selbst geschriebene detaillierte Liste sämtlicher Gemälde in seiner Privatsammlung und im Lagerbestand seiner Galerie. Dies ist natürlich eine Fotokopie.
    Das Original befindet sich jetzt in einem schrecklichen Zustand.«
    Er legte Gabriel die Liste hin.
    »Ich weiß nicht, wie gründlich du nachforschen willst, aber falls du auf eines dieser Bilder stößt, läßt du's mich wissen, nicht wahr, Schätzchen?«
    Gabriel nickte, faltete die Fotokopie zusammen und steckte sie ein.
    »Wohin willst du jetzt?«
    »Weiß ich noch nicht.«
    »In Lyon gibt's einen Mann, mit dem du reden solltest. Er hat mir bei den Recherchen für mein Buch wertvolle Hinweise gegeben. Falls Augustus Rolfe wirklich Dreck unter den Fingernägeln hatte, würde er davon wissen.«
    Isherwood drehte seine Rolodex-Kartei und nannte Gabriel zwei Telefonnummern.

20 - LONDON
    Um die Ecke von Isherwood Fine Arts saß ein blonder Mann am Steuer einer auf der Jerym Street geparkten Rover-Limousine und hörte Radio. Er überwachte den Kunsthändler schon seit fünf Tagen. Er war ihm zu seinen flüssigen Mittagesmahlzeiten gefolgt, von denen Isherwood beschwipst zurückkehrte. Er hatte ihn abends auf der Fahrt zu seinem Haus in South Kensington beschattet. Er hatte sich sogar als potentieller Kunstkäufer ausgegeben, um in Isherwoods Büro zwei winzige Sender verstecken zu können. Diese Sender strahlten ein schwaches Analogsignal auf einer gewöhnlichen UKW-Frequenz aus. Der Mann benützte das Autoradio des Rovers, um mitzuhören, was in Isherwoods Büro gesprochen wurde. Als das Gespräch wenige Minuten später beendet wurde, griff er nach seinem Handy und wählte eine Nummer in Zürich.
    »Unser Freund ist nach Lyon unterwegs, um den Professor zu besuchen.«

21 - LYON
    Professor Emil Jacobi war das selbsternannte schlechte Gewissen der Schweiz. Er war der Überzeugung, um sein Vaterland retten zu können, müsse er es erst niederreißen, und hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die unerfreulichen Aspekte der Schweizer Geschichte auszugraben und anzuprangern. Sein brisantes Buch Der Mythos hatte durch seine detaillierte Darstellung der im Zweiten Weltkrieg stets engen Wirtschafts-und Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Hitler-Deutschland einen Feuersturm ausgelöst. Jacobi schilderte das Verfahren, wie Schweizer Banken geraubtes Gold - und Gold aus den Zahnfüllungen von Juden auf dem Weg zu den Gaskammern - annahmen und in harte Devisen umtauschten, mit denen Hitler die Rohstoffe kaufen konnte, die er brauchte, um seine Kriegsmaschinerie in Gang zu halten.
    Professor Jacobis Schlußfolgerung schockierte das ganze Land und machte ihn in seiner Heimat zu einem Paria: Die Schweiz und das Dritte Reich seien nur dem Namen nach keine Verbündeten gewesen, schrieb er. Ohne Unterstützung durch Schweizer Banken und Waffenfabriken hätte Hitler nicht Krieg führen können. Ohne die Schweiz wäre die Wehrmacht spätestens im Herbst 1944 knirschend zum Stehen gekommen.
    Millionen von Menschen hätten überleben können,

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