Der Engländer
Elternschlafzimmer schleicht, drang Gabriel behutsam in seine Erinnerungen ein.
»Was ist mit den Kunstwerken nach der Beschlagnahme passiert?«
»Der ERR hat das Pariser Museum Jeu de Paume für seine Zwecke beschlagnahmt und als Lager-und Sortiergebäude benützt. Ein vielköpfiger Mitarbeiterstab war Tag und Nacht damit beschäftigt, die Unmengen von Kunstwerken, die den Deutschen in die Hände fielen, zu katalogisieren und zu bewerten. Alle Gemälde, die für die Privatsammlung des Führers oder das Linzer Museumsprojekt geeignet schienen - hauptsächlich Alte Meister und Werke aus Nordeuropa -, wurden in Kisten verpackt und nach Deutschland geschickt.«
»Und der große Rest? Die Impressionisten und Werke der Moderne?«
»Die Nazis hielten sie für entartet, aber sie dachten nicht daran, sie deswegen zu verschleudern. Die meisten Gemälde aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert wurden gegen Bares verkauft oder zunächst eingelagert, um für Tauschzwecke verwendet zu werden.«
»Für welche Tauschzwecke?«
»Nimm zum Beispiel Hermann Göring. Ihm gehörte südlich von Berlin ein großes Jagdhaus, das zu Ehren seiner verstorbenen Frau, der schwedischen Adeligen Carin von Fock, den Namen Carinhall trug. Es enthielt eine der größten privaten Kunstsammlungen Europas, und Göring nutzte seine außergewöhnliche Machtfülle, um sie während des Kriegs beträchtlich zu vergrößern. Er betrachtete die Lagerräume im Jeu de Paume praktisch als sein eigenes Revier.«
Isherwood leerte sein Glas und bestellte ein weiteres. »Göring hat eine schwierige Gratwanderung zwischen Raub und Kauf versucht. Er hat dafür gesorgt, daß seine Erwerbungen - zumindest auf dem Papier - nicht wie glatte Diebstähle, sondern wie Käufe aussahen. Wollte Göring ein bestimmtes Bild haben, hat er es eigens dafür lachhaft niedrig schätzen lassen. Dann hat er es in Besitz genommen und zugesagt, den Kaufpreis auf ein spezielles ERR-Konto zu überweisen. Aber in Wirklichkeit hat er für seine in Paris ›gekauften‹ Gemälde nie etwas bezahlt.«
»Sind sie alle nach Carinhall gekommen?«
»Einige, aber nicht alle. Göring war wie Hitler ein Verächter des Impressionismus und der Moderne, aber er wußte, daß solche Bilder sich verkaufen oder gegen die von ihm bevorzugten Alten Meister eintauschen ließen. Ein Tauschgeschäft dieser Art haben seine Beauftragten in Italien abgewickelt. Im Tausch gegen sieben italienische Alte Meister und weitere Kunstgegenstände übergab Göring neun Gemälde aus dem Jeu de Paume. Van Gogh, Cézanne, Renoir, Monet, um nur einige zu nennen - alle aus jüdischen Galerien oder
Sammlungen geraubt. Auch mit Schweizer Kunsthändlern hat Göring mehrmals solche Tauschgeschäfte gemacht.«
»Erzähl mir mehr von der Swiss Connection.«
» Dank der Neutralität ihres Landes konnten die Schweizer Händler und Sammler auf einzigartige Weise von der Ausplünderung Paris' profitieren. Schweizer durften durch fast ganz Europa reisen, und der Schweizer Franken war die einzige weltweit akzeptierte Währung. Und vergiß nicht, daß Städte wie Zürich wegen der Gewinne aus der Kollaboration mit Hitler in Geld schwammen. Paris war der richtige Ort, um geraubte Kunst zu kaufen, aber Zürich, Luzern und Genf waren die richtigen Orte, um sie loszuschlagen.«
»Oder zu bunkern?«
»Aber natürlich! Viele der Kunstwerke, die in die Schweiz gelangten, kamen illegal ins Land. Sie wurden ohne Begleitpapiere über die Grenze geschmuggelt. Hunderte von weiteren Gemälden kamen im Kuriergepäck der deutschen Botschaft ins Land. Das dortige Bankgeheimnis machte die Schweiz zu einem idealen Absatzmarkt für Raubkunst. Ebenso förderlich waren die gesetzlichen Bestimmungen über den Besitz gestohlener Sachen.«
»Erklär mir diese Bestimmungen.«
»Sie waren brillant und in ihrer Subtilität durch und durch schweizerisch. Um ein Beispiel zu nennen: Erwirbt jemand in gutem Glauben einen Gegenstand, der zufällig Diebesgut ist, gehört er nach fünf Jahren rechtmäßig ihm.«
»Wie praktisch!«
»Warte, das ist noch nicht alles. Stellt ein Kunsthändler fest, daß er sich im Besitz eines gestohlenen Gemäldes befindet, ist der rechtmäßige Eigentümer verpflichtet, dem Händler Schadenersatz zu leisten, wenn er sein Bild zurückfordert.«
»Schweizer Händler und Sammler konnten sich also mit geraubten Kunstwerken eindecken, ohne fürchten zu müssen, bestraft zu werden oder Geld zu
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