Der Engländer
Luini, eine Geburt Christi von del Vaga, eine Taufe Christi von Bordone, eine überwältigend schöne Landschaft von Claude.
Gabriel verzichtete darauf, Licht zu machen, und ließ sich auf das mit Samt bezogene Sofa fallen. Er liebte diesen Raum, der ihm stets als Zufluchtsort, als eine Insel des Friedens erschienen war. Einmal hatten seine Frau und er sich hier oben geliebt.
Einige Jahre später hatte er hier den Tod des Mannes geplant, der sie ihm entrissen hatte.
Fünf Minuten später ging die Lifttür auf, und Isherwood betrat den Raum. »Großer Gott, Gabriel, du siehst aber verdammt schlecht aus!«
»Soll das ein Kompliment sein?«
»Was zum Teufel machst du hier? Warum bist du nicht in Zürich?«
»Der Besitzer des Gemäldes, das ich reinigen sollte, war ein gewisser Augustus Rolfe. Schon mal von ihm gehört?«
»Ach, du lieber Gott - der Bankier, der letzte Woche ermordet wurde?«
Gabriel schloß die Augen und nickte. »Ich habe ihn tot aufgefunden.«
Isherwood schien seine Verbände erst jetzt zu bemerken.
»Was ist mit deinen Händen passiert?«
»Du hast von dem gestrigen Bombenanschlag auf eine Pariser Galerie gehört?«
»Natürlich - das ist das Tagesgespräch der Branche. Damit hast du doch bestimmt nichts zu tun gehabt?«
»Nein, ich war nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort.
Ich erzähle dir später alles, Julian, aber zuerst brauche ich deine Hilfe.«
»Was für eine Art Hilfe?« fragte Isherwood vorsichtig.
»Nicht wie in der guten alten Zeit. Du sollst mir nur erklären, was einen betagten Schweizer Bankier dazu gebracht haben kann, eine höchst sehenswerte Sammlung impressionistischer und moderner Maler aus Frankreich in einem unterirdischen Gewölbe vor den Augen der Welt zu verbergen.«
Isherwood drückte auf eine Taste der auf dem Tischchen stehenden Gegensprechanlage. »Irina, sind Sie so lieb, uns Kaffee heraufzubringen? Und ein paar Kekse. Die mit den Nüssen. Und sagen Sie bitte allen Anrufern, daß ich später zurückrufe. Danke, Schätzchen.«
Gabriel kannte die Geschichte der Plünderung europäischer Kunstschätze durch die Nazis in ihren Grundzügen. Adolf Hitler hatte davon geträumt, in seiner Heimatstadt Linz ein riesiges »Führermuseum« zu errichten, das die umfangreichste jemals zusammengetragene Sammlung Alter Meister und nordischer Kunst enthalten sollte. Im Jahr 1938 begann unter dem Decknamen Sonderauftrag Linz ein von Hitler angeordnetes Geheimunternehmen mit dem Ziel, mit allen für notwendig erachteten Methoden Kunstwerke für das Führermuseum zu beschaffen. In den letzten Friedensmonaten durchstreiften seine Beauftragten heimlich Museen, Galerien und Privatsammlungen in ganz Europa und wählten bereits Werke für das zukünftige Museum aus. Als dann der Krieg ausbrach, blieben Hitlers Kunsträuber der Wehrmacht dicht auf den Fersen. In kürzester Zeit verschwanden Hunderttausende von Gemälden, Skulpturen und Kunstgegenständen, viele davon aus jüdischem Besitz. Bis zum heutigen Tag blieben Tausende von Kunstwerken im Schätzwert von dreißig Milliarden Dollar verschollen.
Gabriel wußte, daß Julian Isherwood ihm die näheren Einzelheiten schildern konnte. Als überdurchschnittlich guter Kunsthändler hatte Isherwood schon viele Triumphe gefeiert, aber in bezug auf den organisierten Kunstraub der Nazis in Europa war er geradezu ein Experte. Er hatte Dutzende von Artikeln für Zeitungen und Fachzeitschriften geschrieben und war vor fünf Jahren Mitverfasser eines Standardwerks über dieses Thema gewesen. Trotz dringender Bitten seines Verlegers hatte er sich standhaft geweigert, sein persönliches Motiv für seine Beschäftigung mit diesem Thema zu nennen. Gabriel gehörte zu der Handvoll Menschen, die den Grund dafür kannten: Julian Isherwood hatte alles selbst miterlebt.
»Im Jahr 1940 waren London und New York unwichtig«, begann Isherwood, als der Kaffee vor ihnen stand. »Paris war der Mittelpunkt der Kunstwelt, und der Mittelpunkt der Pariser Kunstszene war die Rue de la Boétie im achten Arrondissement.
Der berühmte Paul Rosenberg hatte seine Galerie in der Nummer einundzwanzig. Picasso wohnte mit seiner Frau, der russischen Tänzerin Olga Kokiowa, auf der anderen Seite eines Innenhofs in der Nummer dreiundzwanzig. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand die Galerie Etienne Bignou.
Georges Wildenstein hatte seine Galerie in der Nummer sieben-undfünfzig. Auch Paul Guillaume und Josse Hessel waren dort.«
»Und dein
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