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Der Erdbeerpfluecker

Der Erdbeerpfluecker

Titel: Der Erdbeerpfluecker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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sich.
    »Georg«, hatte seine Mutter gesagt, »wo bist du? Bitte, Junge, sag mir doch, wie ich dich erreichen kann.«
    Er hörte das Beben in ihrer Stimme, das die üblichen Tränen ankündigte, und rasch hatte er eingehängt. Sie ging ihm auf die Nerven mit ihrem Gejammer. Er wollte nicht erreichbar sein, für niemanden, erst recht nicht für sie.
    Georg. Sie war einer der wenigen Menschen, die ihn noch so nannten. Er hätte seinen Namen gern vergessen, so wie er am liebsten seine gesamte Kindheit vergessen hätte. Doch ab und zu wurde er wieder mit der Nase darauf gestoߟen. Der Vergangenheit zu entkommen war ein Kunststück, das er nicht beherrschte.
    Er musste es sich abgewöhnen, sie anzurufen. Ihm war ja nicht mal klar, warum er das überhaupt tat. Aus Schuldbewusstsein? Aus Gewohnheit?
    Unterzutauchen war einfacher, als er gedacht hatte. Man musste lediglich darauf achten, nicht zu lange an einem Ort zu bleiben. Und keine Spuren zu hinterlassen. Kinderleicht.
    Er hätte nicht telefonieren dürfen. Bestimmt setzte sie Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn zu finden. Wie leicht konnte es beim Telefonieren passieren, dass er sich verplapperte. Ein paar Stunden später und sie wäre hier.
    »Schuldbewusstsein? Lächerlich!« Er hatte sich angewöhnt, mit sich selbst zu reden, sich selbst Fragen zu stellen und sie zu beantworten. Es wurden immer weniger Fragen. Das Leben hier war so einfach.
    Aufstehen. Arbeiten. Schlafen. Dazwischen alterte der Tag.
    Er liebte es, auf den Feldern zu sein, den Wechsel des Lichts zu beobachten, Wind, Sonne und Regen auf dem Gesicht zu spüren, die Muskeln unter der Haut zu fühlen. Die Arbeit tat seinem Körper gut. Er merkte es an den Blicken der Frauen und an ihrer Bereitschaft, sich mit ihm einzulassen. Natürlich merkte er es auch an seinem unstillbaren Hunger auf sie.
    »Hey, Gorge!«
    Er drehte sich nach der Stimme um. Gorge nannte ihn nur einer. Und da kam er auch schon. Er zog das Bein nach, das ihm vor Jahren bei einem Unfall zerschmettert worden war, seine Jeans starrten vor Dreck und die Haare hingen ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht.
    »Scheiߟhitze«, stieߟ Malle hervor und strich sich die Haare hinter die Ohren.
    Niemand kannte Malles richtigen Namen, vielleicht nicht mal er selbst. Sein Nachname war Klestof, und er sprach Deutsch mit einem undefinierbaren, verwaschenen Akzent. Aber woher er kam, das verriet er keinem.
    Sie gingen zusammen zum Essen. Als sie den Speisesaal betraten, schwappte ihnen der Lärm, den die andern machten, wie eine Welle entgegen. Malle grüߟte nach rechts und links, ein seltsam zwiespältiger Kerl, im Grunde gutmütig, freundlich und hilfsbereit, es sei denn, er hatte getrunken. Dann konnte es sein, dass er zänkisch wurde und dann schlug er auch gern mal zu.
    Wo Malle hinschlug, wuchs kein Gras mehr. Das Gefährliche an ihm war, dass er unter Alkoholeinfluss oder in extrem schwierigen Situationen jegliche Gewalt über sich verlor. Er konnte zwischen seinen Gefühlen hin und her schwanken wie ein Grashalm im Wind, jeder seiner Stimmungen nachgeben. Das machte ihn nicht gerade beliebt, dabei wollte er genau das sein, ein Mensch, der von jedem gemocht wurde.
    Auf dem Speiseplan standen Putenschnitzel mit Kartoffeln und Erbsen und Möhren. Sie nahmen ihr Essen in Empfang und suchten sich einen Tisch. Niemand würde sich zu ihnen setzen, wenn es sich vermeiden lieߟe. Georg war es recht.
    Tiefkühlgemüse. Das Fleisch zu hart und so trocken, dass es ohne Wasser kaum herunterzubringen war. Die Kartoffeln matschig gekocht und wässrig. Das Dessert bestand aus einem blassgelben Pudding mit einer Erdbeersoߟe.
    Das Geld für die Mahlzeiten wurde direkt vom Wochenlohn einbehalten. Es war kein Verlass auf Wanderarbeiter. So unvermutet, wie sie irgendwo auftauchten, verschwanden sie auch wieder, manchmal mitten in der Nacht. Georg hatte welche gesehen, die ohne ihren Lohn abgehauen waren.
    »Elender Schweinefraߟ«, fluchte Malle. »Da koch ich ja noch besser.« Er schob den Teller weg, zog das Puddingschälchen heran.
    Georg war froh über seine Fähigkeit, sich in beinah jeder Situation zurechtzufinden, sich mit fast allem arrangieren zu können. Er wusste, dass er essen musste, um die schwere körperliche Arbeit durchzustehen, und deshalb aߟ er. Hier ging es schneller als in einem Lokal, wo es vielleicht besser geschmeckt hätte, und es war billiger. Auߟerdem kam er rasch zur Arbeit zurück. Eine Stunde Mittagspause, das

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