Der Erdbeerpfluecker
Mädchen hatte Mariella geheißen, das andere Nicole. Es war Bert wichtig, dass die Opfer Namen hatten. Dass diese Namen auch in den Zeitungsartikeln immer wieder erwähnt wurden. Weil es die Opfer aus der Anonymität heraushob. Und menschlich machte.
Sie hätten jedermanns Töchter, Schwestern, Enkelinnen, Nichten oder Freundinnen sein können.
Ganz anders der Täter. Er hatte kein Profil. Er war nichts als ein bedrohlicher Schatten, eine in jedem Winkel vorstellbare Gefahr.
Verschwundene Halskette. Sieben Stiche. Abgeschnittene Haare. Bert hatte in alten Fällen nachgeforscht. Und kein Muster gefunden. Auch seine Kollegen aus Norddeutschland hatten in dieser Richtung Untersuchungen angestellt. Ohne Erfolg.
Jeder Mord war schrecklich. Serienmorde jedoch waren mehr als das. Bert hatte noch nie in einer Serie von Mordfällen ermitteln müssen. Aber er hatte Serienmorde studiert. Und immer gehofft, niemals welche untersuchen zu müssen.
Viele Morde konnte er, wenn auch nicht billigen, so doch wenigstens irgendwie nachvollziehen. Er hatte in Morden aus Eifersucht oder Habgier ermittelt, hatte Morde aus Rache oder aus Angst vor Entdeckung einer anderen Straftat aufgeklärt. Auch mit Lustmorden hatte er zu tun gehabt.
Ein Serienmörder war ihm völlig fremd. Er brachte es nicht fertig, sich in so jemanden hineinzuversetzen. Und genau das musste er in den kommenden Wochen tun. Er musste seinen Standort verändern. Von außen das Muster finden und in den Täter hineinschlüpfen. Fühlen und denken wie er. Und ihn dadurch zur Strecke bringen.
Wie militant meine Sprache geworden ist, dachte er. Und während er noch darüber nachgrübelte, wurde ihm klar, dass dieser Mordfall ihn verändern würde.
Er fuhr auf den nächsten Parkplatz und stieg aus dem Auto. Ein paar Schritte nur, das würde ihm gut tun. Gleich hinter dem Parkplatz lag ein Wald. Er tauchte in seinen Schatten ein und schob die Hände in die Taschen seines Sakkos.
Der Geruch nach vermodertem Laub und nahe gelegener Landwirtschaft rief einen Schwall von Erinnerungen hervor. Bert hatte seine Kindheit im Norden verbracht. Eine strenge, freudlose Kindheit voller Dunkelheit und Zorn.
Nie wieder hatte er dorthin zurückkehren wollen.
Jetzt erst merkte er, unter welcher Anspannung er gestanden hatte, seit er hierher gekommen war. Er ballte die Fäuste. Nahm wahr, dass es regnete und er schon nasse Haare hatte.
Doch das Nasse auf seinem Gesicht war kein Regen. Das waren Tränen.
Rasch wischte er sie weg und hastete zu seinem Wagen zurück.
Dieser Fall hatte bereits angefangen, ihn zu verändern.
Er hasste es, bei Regen zwischen den Pflanzen herumzukriechen. Obwohl er Schutzkleidung trug, fühlten sich seine Sachen klamm an. Das zwischen den Reihen ausgestreute Stroh verhinderte zwar, dass die nasse, schwere Erde an den Stiefeln kleben blieb, dafür waren seine Hände wie in Schlamm getaucht.
Den andern schien es ähnlich zu gehen. Die Stimmung war gedrückt. Niemand lachte, niemand machte einen Scherz. Ruhig und konzentriert taten sie ihre Arbeit und hofften, dass ihnen keiner zu nahe kam.
Bei Regen verloren die Früchte ihren Duft. Selbst ihre Farbe verblasste. Erdbeeren, dachte Georg, müssen die Lieblingsfrüchte des Sonnengotts im alten Griechenland gewesen sein.
Regen hin, Regen her, es war ihm egal, wie er sein Geld verdiente. Hauptsache, er war nicht gezwungen, an einem Schreibtisch zu sitzen. Er war ein Mensch, der sich gern bewegte. Andere setzten sich zum Nachdenken hin. Er konnte nur nachdenken, wenn er in Bewegung war. Der Wind auf den Feldern blies ihm oft den Kopf wieder frei.
Arbeiten muss schwitzen machen.
Ein Grundsatz seines Großvaters, der in Georgs Gedächtnis eingebrannt war. Mit solchen Sätzen hatte der Alte sich selbst und andern die Welt erklärt, wenn er auch sonst wenig von sich gegeben hatte. Niemals zuvor und niemals danach hatte Georg einen so schweigsamen Menschen kennen gelernt.
Lieber hatte der Großvater seine Hände sprechen lassen. Und seinen Gürtel. Und wenn der nicht greifbar gewesen war, hatte es auch ein Stock, ein Kochlöffel, ein Kleiderbügel oder eine schwere Kette aus der Werkstatt getan.
Georg hatte sich jedes Mal fest vorgenommen, nicht zu weinen. Und jedes Mal war er hilflos in Tränen ausgebrochen. Das schien die Wut des Alten noch verstärkt zu haben.
Schlimmer als die Schmerzen war das Gefühl der Demütigung gewesen. Noch heute konnte Georg es auf der Zunge schmecken.
Die
Weitere Kostenlose Bücher